Berlinische Galerie, Museum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur Courtesy: Galerie Thomas Rehbein, Köln; Galerie FeldbuschWiesner, Berlin
Susa Templin: BerlinBarock, 2007 ©
Raum-Elemente, Museum für Photographie, Braunschweig, Courtesy: Galerie Thomas Rehbein, Köln; Galerie FeldbuschWiesner, Berlin
Susa Templin: Folded Spaces,2016 ©
Zimmer, Türen, Berlin, Fotografien und Raum-Module, Kunsthalle Nürnberg, 2015 Courtesy: Galerie Thomas Rehbein, Köln; Galerie FeldbuschWiesner, Berlin
Susa Templin ©



stipendiatin
susa templin

Wie funktioniert Wahrnehmung im gebauten Raum und wie lassen sich Raumerfahrungen in Bilder setzen? Fragen wie diese beschäftigen Susa Templin seit Langem. Die in Berlin und Frankfurt am Main lebende Künstlerin arbeitet mit Fotografie und dreidimensionalen Raummodellen, einem Konzept, das sie während ihres Atelierstipendiums in New York konkretisiert und seither weiter entwickelt hat. Neben zahlreichen internationalen Ausstellungen, Lectures und Lehrtätigkeiten hat Templin auch verschiedene Kunst am Bau-Aufgaben erhalten, so zum Beispiel für das Frankfurter Universitätsklinikum und das Ministerium der Finanzen in Wiesbaden.

Ihr umfangreiches Archiv immer analog fotografierter und im eigenen Labor bearbeiteter Aufnahmen von Raumfragmenten –
eine Zimmerecke, ein Stück Vorhang, eine bestimmte Türsituation – nutzt Templin für neue, atmosphärisch dichte Raumentwürfe. Mit den technischen Möglichkeiten von Fotografie und Installation realisiert die Künstlerin subjektive Qualitäten von
Architektur und Räumen: Assoziative und gleichzeitig reale Orte, die, wie etwa Folded Spaces, eine Werkgruppe aus der aktuellen Ausstellungsbeteiligung im Braunschweiger Museum für Photographie, die physischen Erscheinungsformen von Raum, Gegenständen und Körper in Frage stellt. Über neue und ältere Projekte haben Susa Templin und Karin Görner im nebenstehenden Interview gesprochen.

Die Ausstellung mit dem Titel Die vierte Dimension ist in Braunschweig noch bis zum 27. November 2016 zu sehen. Für das kommende Jahr ist für die Kunsthalle Mannheim eine Weiterführung der permanenten Installation Landscaping (2003) in Vorbereitung; die begehbare Fotoarbeit Landscaping II wird Susa Templin zusammen mit einer Toncollage von Bernhard Schreiner realisieren, der Frankfurter Künstler ist ebenfalls ein früherer Teilnehmer des Stipendienprogramms der Hessischen Kulturstiftung.

hks Das Stipendienprogramm der Hessischen Kulturstiftung besteht inzwischen seit 25 Jahren und das scheint uns ein guter Anlass zu sein, frühere Stipendiatinnen erneut zu befragen und ihre Künstlerkarrieren zu betrachten, die sich über längere Zeiträume entwickelt haben. Susa, du warst von Januar bis Dezember 1996 im New Yorker Atelier zu Gast und hast im Anschluss an das Stipendium bis 2005 weiter in New York gelebt und gearbeitet.

templin Ja, für mich war das Stipendium die Möglichkeit, wirklich lange und wirklich weit weg zu gehen. Ein langes Stück Zeit zu haben, war für meine Arbeit, wie ich sie jetzt mache, fundamental. Weil ich in der Zeit meine künstlerischen Themen auf vielen Ebenen herausgearbeitet und entwickelt habe. Also, wie erlebe ich Raum, öffentlichen und privaten und wie kann ich den mit dem Medium der Fotografie interpretieren, abstrahieren und auch formen.

hks Konzentriert sein können, aus seinem alltäglichen Umfeld herausgehen, etwas in dieser Richtung?

templin Ja. Frankfurt ist eine schöne Stadt, viele Freunde und Studienkollegen. Ich hatte aber das Bedürfnis, herausfinden zu wollen, was „ureigentlich“ in mir drin ist an Themen, und dazu wollte ich alleine sein, mich komplett auf meine Arbeit und auf meine Wahrnehmung konzentrieren. Mich beschäftigen Räume und Architektur und ich habe mich für New York entschieden, weil das ja eine Stadt ist, in der Raum, der knappe Raum, real estate, so eine besonders große Bedeutung hat. Mich interessierte auch die Frage, wie ich da dann selber mit der Fotografie eingreifen im Sinne von „formen“ kann, statt nur zu dokumentieren, nur abzubilden.

hks Was hast du gefunden bei deiner Suche?

templin Ich bin dorthin gegangen mit der Idee, so viele Räume, Zimmer, Wohnungen wie möglich zu fotografieren, mich Räumen quasi „auszusetzen“.

Ich beschäftige mich seit 20 Jahren mit diesem Thema, und habe dort in New York für mich begriffen, dass Räume für meine künstlerische Arbeit das Essentielle oder das existenzielle Thema sind. Die Essenz von Raum, das architektonisch zu Berechnende, aber auch das emotional Aufgeladene eines Raumes kam mir deutlicher zu Bewußtsein.

hks In welcher Form hast du diese konkrete Erfahrung mit Raum künstlerisch genutzt?

templin Ich arbeite mit dem Medium Fotografie und das ist ein Medium, das die räumliche Welt als Fläche abbildet, es wurde benutzt, um die Welt zu dokumentieren. An diesen Grenzen oder Widersprüchen habe ich gearbeitet, arbeite ich immer noch: Wie kann ich mit Fotografie nicht nur Räume dokumentieren, sondern Räume schaffen. Was kann die Fotografie, wie kann ich mit Fotografie eigene Realitäten oder Interpretationen von Wirklichkeit schaffen.

Als ich nach New York gegangen bin, 1996, war die Digitalfoto-grafie gerade sehr wichtig geworden, und man benutzte Photoshop, die Bildbearbeitung im Computer. Ich habe in der Zeit bewußt analog gearbeitet und begonnen, dreidimensional-handwerklich oder auch skulptural, meine eigene Sicht auf die Welt und auf die Fotografie wiederzugeben. Dazu habe ich erste Fotografien zerschnitten, Collagen gemacht, Modelle gebaut, plastisch gearbeitet. Auch die Wahrnehmung und Aussagen von Farben wurden mir dabei wichtig, ich habe mich dort mit Farbfotografie beschäftigt, und dann sehr großformatige handgefertigte Farbfotos hergestellt.

hks Fotografie ist im Sinne eines Abbild schaffenden Mediums ja längst dekonstruiert …

templin Ja, ich kam aber von der Schwarz-Weiß-Fotografie, die sich damals handwerklich-technisch mit präzise wiedergegebenen Grauwerten und ähnlichen Abbildungsproblemen beschäftigt hat, das hat mich einfach nicht interessiert. Ich habe immer dagegen angearbeitet. Ich will die Welt nicht dokumentieren, ich will sie auch nicht abbilden.

Heute ist das normal, jetzt ist Fotografie Kunst. Ich habe mich immer mit dem künstlerischen Inhalt und im gleichen Maße mit dem Hinterfragen des Mediums beschäftigt. In New York kam die Farbe dazu und es begann so eine Reise von der Fläche in den Raum. Jetzt ist es so, dass es mich interessiert, mit Fotografien völlig neue, teilweise fast abstrakte Räume real zu bauen. Mit großformatigen Bildern selber neue begehbare Räume zu schaffen.

hks Also ein Schritt in die Installation, in die Architektur?

templin Mehr in die Architektur. Ich möchte meinen eigenen Blick auf Räume, in Räume tatsächlich nachbauen, sichtbar machen … Fotografie ist für mich nichts Flächiges, sondern viel mehr so etwas wie Bildhauerei. Ich versuche die Essenz eines Raumes herauszufiltern. Wie würde ich einen Raum beschreiben, wörtlich, in Einzelteilen, einzelnen Elementen. Wie kann ich einen Raum verstehen? Raum fühlt sich anders an, wenn ich allein oder mit anderen darin bin, zum Beispiel. Solche Fragen in Bilder zu setzen, interessiert mich.

Meine Arbeiten sind Konstruktionen einer Geschichte von einem Raum, die ich plane zu erzählen. Zusammengestellt aus Bildern aus meinem Archiv, neu abgezogen, in unterschiedlichen Größen, Kontrasten oder Farben, die mir sehr wichtig sind.

hks Wie verhalten sich zwei- und dreidimensionale Bau- und Bildteile, die offen konstruierten Bildebenen, in deinen Arbeiten zueinander?

templin Ich denke, dass unsere Wahrnehmung eigentlich so funktioniert. Dass sie nicht besonders organisiert ist, sondern aus einer Anhäufung von Erinnerungen, Assoziationen und Blicken in die Wirklichkeit zusammengesetzt ist. Dem versuche ich auf die Spur zu kommen, wie funktioniert Wahrnehmung? Es interessiert mich nicht, „Wirklichkeit“ abzubilden, sondern eben eine Vorstellung von dieser Art räumlicher, emotionaler Desorientierung mittels der Fotografie sichtbar zu machen. Für die aktuelle Ausstellung im Photographie-Museum Braunschweig habe ich die Idee umgesetzt, überdimensionale geknickte Fotografien, die also selbstständig stehen können, frei in den Raum zu stellen. Hier habe ich im Bild Motivflächen so kombiniert, dass Innen- und Außensichten gleichzeitig für den Betrachter deutlich werden und über die Faltungen die Perspektiven verschoben werden. Ich konzipiere für meine Arbeiten jeweils so etwas wie einen Architekturplan, nach dem ich ein Raummodell baue, es mit den eigenen Bildern ausstatte, um dann die Fotografie mit der Erzählung davon zu machen, die ich beschreiben will.

hks Man könnte in Desorientierung, in der Irritation, ja auch versinken, das Opfer der Dinge werden. Wie positionierst du deine Arbeiten in dieser Hinsicht?

templin Die Art von Arbeit, die ich mache, entspricht meiner vagabundierten Existenz, und auch meiner Realität in der Gegenwart. In dem Verschieben von Ebenen, das ich konstruiere, schaffe ich Ordnung durch eine in sich stimmige Komposition. Ich versuche in meinen Raumkonstruktionen und meinen ausgearbeiteten Fotografien, die Verwirrung sozusagen wieder zu schlichten.