© Niklas Lichti, 2019
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stipendiat niklas lichti

Niklas Lichti, 1980 in Marburg geboren, lebt und arbeitet derzeit im Londoner Atelier der Hessischen Kulturstiftung. Seit dem Studium, das Lichti 2010 mit Diplom in Bildender Kunst an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst abgeschlossen hat, beschäftigt sich der Künstler neben skulpturalen Arbeiten vor allem mit Literatur, künstlerischem Schreiben und dem Objekt Buch als Bildträger. Artistic Writing hat sich längst zu einem eigenen Genre herausgebildet, das sowohl das Feld der Literatur als auch der künstlerischen Produktion um vielfältige Spielräume erweitert.

Die Reflexion über die Figur des Künstlers stellt einen thematischen Schwerpunkt in Lichtis Arbeiten, die er in Ausstellungsformaten und unter anderem auch als Herausgeber und Autor der Zeitschrift The Critical Ass publiziert. Auf dieser Plattform ist 2015 sein Roman Das Rheinische Prinzip (zusammen mit Anke Dyes und Robert Müller) erschienen; das Magazin war 2017 bei Publishing as an Artistic Toolbox 1989 – 2017 in der Kunsthalle Wien vertreten.

Im Rahmen seines Stipendiumsprojekts recherchiert Niklas Lichti weiter zu zeitgenössischen Lebensmodellen und Identitäten von Künstlern und Künstlerinnen – so aktuell wie prekär (nicht nur) in der britischen Kultur- und Finanzmetropole zu Zeiten der ungeklärten Ökonomien in Europa. Als work in progress stellen wir Ihnen den folgenden mit Zeichnungen verknüpften Text von Niklas Lichti vor.

 

Geld als Narrativ

Über den Stummfilm K 13513. Die Abenteuer eines Zehnmarkscheines schrieb Siegfried Kracauer im Winter 1926: „Ab und zu glückt (ihm) die Spiegelung des zerrissenen Lebens (…)“. Außer wenigen kurzen Rezensionen, Produktionsdaten und einer knappen Synopsis ist über den Film sehr wenig zu erfahren, da aller Wahrscheinlichkeit nach sämtliche Kopien dem nationalsozialistischen Zensureifer zum Opfer gefallen sind. Vor nahezu 20 Jahren bin ich über einen kurzen Eintrag in einem Lexikon der Deutschen Filmgeschichte auf den Film aufmerksam geworden und habe seitdem wenig mehr darüber erfahren können. Ich kann nicht behaupten, dass ich jemals in obsessiver Weise mit dem Mysterium des verschollenen Films beschäftigt gewesen wäre, weder die genauen Umstände seines Verschwindens, noch seine tatsächliche Handlung oder die Möglichkeit seiner Wiederentdeckung haben mich im Einzelnen seither besonders interessiert. Vielmehr beschäftigen mich die imaginären Möglichkeiten dieses Films, die Ableitungen und Projektionen, welche sich aus den drei Zuständen Verlust, Erzählung und Potenzial ergeben.

Wie der Titel bereits vermuten lässt, folgt der Film einem Zehnmarkschein mit der Registriernummer K 13513 durch die prekäre Ökonomie der Weimarer Republik und beschreibt mit dieser Bewegung einen kleinen Radius sozialer Erfahrung der Zwischenkriegszeit. Die Angestellte Anna erhält als ersten Wochenlohn eine Zehnmarknote, woraufhin ihr Nachbar Andreas diese mit einem Kreuz markiert. Der Schein wird von Annas Mutter in ihrer Bibel verwahrt und kurz darauf von ihrem Bruder Robert geklaut. Robert kauft sich von dem gestohlenen Geld ein Messer, wird mit diesem zum Mörder und stürzt damit seine Familie ins Elend. Die Mutter verfolgt daraufhin suizidale Absichten, Anna verliert ihre Anstellung und vertraut sich in ihrer Not dem zwielichtigen Direktor Haniel an. Als sich aber offenbart, dass Haniels Hilfsbereitschaft an sexuelle Ansprüche gekoppelt ist, wendet Anna sich schließlich wieder Andreas zu. Um die zwangsversteigerten Möbel der Familie zu retten, veräußert Andreas sein Fahrrad und erhält bei dieser Transaktion eben jenen Zehnmarkschein zurück, welchen er zuvor mit einem Kreuz markiert hatte. Wieder in den Händen von Anna und Andreas wird K 13513 von beiden als Zeichen gelesen, der Geldschein wird zum Ehestifter und vermutlich für immer dem ökonomischen Kreislauf entzogen. Mehr lässt sich von Wikipedia und dem oben genannten Lexikon des Deutschen Films über das Drehbuch von Béla Balázs nicht erfahren und wie der Regisseur Berthold Viertel mit der symbolisch überfrachteten Erzählung umgegangen ist, lässt sich nur vermittelt aus den Kritiken von Kracauer und anderen Rezensenten herauslesen. Seiner Struktur begegnet man im episodischen Erzählen und in Anthologien ausgewählter Kurzgeschichten, in den Serienformaten von Seinfeld, Atlanta oder The Romanoffs. Das Interessante für mich aber ist die Tatsache, dass hier Geld ins Zentrum der Erzählung gerückt wird, der Zehnmarkschein gleichzeitig erzählerischer Gegenstand und narratives Medium in einem ist. Das Geld bestimmt die Form des Films durch sein Potenzial Kontingenz in Schicksale zu verwandeln, indem er Körper mit Körpern verbindet, der Film aber handelt davon, wie Geld u.a. Arbeitskraft, Information, Charisma, Jugend und Waren äquivalent macht.

Es gibt sicherlich umfassendere Beschreibungen von Währungen, präzisere, analytischere und weniger konservativ erzählte Geschichten zur Ökonomie, aber die Lücke, die Viertels Film hinterlassen hat, und sein überliefertes Narrativ fordert zumindest mich dazu auf, diesen immer wieder neu zu erzählen, den Wirtschaftskreislauf zu verlängern, weitere Charaktere einzuführen, den Plot zu aktualisieren. Die Abenteuer eines Zehnmarkscheines können zeitgenössischeren Genrebedingungen unterworfen werden, auf Untergang oder Erlösung zusteuern, Abstraktion und Entfremdung verhandeln. Geld kann das, denn Geld lebt in der Möglichkeit, während es gleichzeitig immer auf die Wirklichkeit einwirkt. Die drei oben genannten verschränkten Zustände dieses Films, Verlust, Erzählung und Potenzial, lassen ihn schließlich selber zu einem Medium der Relativität werden, ein Film, der immer auch etwas anderes sein könnte und durch seine Abwesenheit stetig neue Ökonomien beschreibt und vergleichbar macht.

Gelegentlich entdecke ich den Zehnmarkschein in anderen Erzählungen, zufällige Begegnungen wie der gefälschte Coupon, eine Geschichte von Lew Tolstoi, die den Auswirkungen einer zunächst harmlosen Wertmarkenfälschung in die Eskalation folgt. In Robert Bressons Filmadaption L’ Argent, die auf Tolstois Erzählung zurückgeht, vor allem aber in Bressons tragischer Geschichte des Esels Balthazar (Au Hazard Balthazar), welcher von den episodischen Begegnungen des Packtieres mit wechselnden Besitzern erzählt: Eingetauscht und gehandelt, geliebt, ausgebeutet und geschlagen, ist Balthazar Arbeitskraft, Ware und nicht zuletzt fühlendes Kapital, das seinen verfallenden Wert am eigenen geschundenen Körper zu spüren bekommt. Ein quantifiziertes und quantifizierendes Leben, was unter dem mitleidenden, anthropomorphisierenden Blick der Zuschauer zugrunde gerichtet wird. Balthazar beschreibt durch seinen Leidensweg eben jene Ungerechtigkeit kapitalistischer Ökonomie, die so oder so ähnlich ein Mitstreiter Béla Balázs der Münchner Räterepublik formuliert hat: Während Körper und Waren verfallen und die Arbeitskraft nachlässt, Zeit und Gebrauch den Tauschwert von Objekten vermindert, so Silvio Gesell, scheint das Geld dem natürlichen Kreislauf entzogen; eine der größten Grausamkeiten des Kapitalismus liegt darin begründet, dass Geld nicht mit uns altert.

Etwa hundert Jahre nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik (und nahezu hundert Jahre nach der Premiere von Die Abenteuer eines Zehnmarkscheines) ist Gesells Theorie des verfallenden Geldes und der damit einhergehenden Umverteilung beinahe in Vergessenheit geraten. Die natürliche Währung sollte durch einen stetigen, regulierten Wertverfall dazu führen, dass das Geld anhaltend zirkuliert, Märkte stabilisiert und gleichzeitig Akkumulation unmöglich gemacht wird. Geld würde also nach wie vor Körper mit Körpern und Waren mit Leistungen verbinden, wäre diesen allerdings darin gleichgestellt, dass es ebenfalls innerhalb der natürlichen Zeit operiert. Ein Markt gleichmäßig verfallender Werte verhindert den Impuls Kapital anzuhäufen, das Interesse der Marktteilnehmer wäre demnach dazu angeleitet, das Geld immer wieder in Umlauf zu bringen und so sukzessive zu einer Umverteilung zu führen.

Die einflussreichsten ökonomischen Reformen verfolgten jedoch spätestens seit der Aufkündigung des Bretton-Woods-Abkommens von 1973 eine aggressive Ideologie sich selbst regulierender Märkte. Adam Smiths utopisches Gleichnis einer unsichtbaren Hand, welche die Eigeninteressen aller Akteure auf dem freien Markt ausbalanciere, wurde zur Leitmetapher neoliberaler Wirtschaftstheorie und selbst die erratischen Krisen der Finanzmärkte sowie die enorme Unwucht in der Kapitalverteilung, die wir derzeit erleben, scheinen die vermeintliche Idylle der freien Marktwirtschaft nicht nachhaltig zu beeinträchtigen.

In Europa ist England seit den unter der Margaret-Thatcher-Regierung eingeführten Reformen ein Modellfall neoliberaler Deregulierung­ und der weitreichende Sozialleistungsabbau zwingt viele im besonderen Maße zu Armut und Selbstverantwortung. In der Folge ist London eine jener Städte, die mit am stärksten von Privatisierungen, Immobilienspekulation und Gentrifizierungsprozessen geprägt wurden. Noch am Anfang der 1970er-Jahre wurden ACME Studios, der Partnerorganisation der Hessischen Kulturstiftung im Londoner Osten, zahlreiche städtische Gebäude überschrieben, die sukzessive Künstlern und Künstlerinnen als Wohn- und Arbeitsraum zur Verfügung gestellt wurden. Das Haus, in dem ich derzeit lebe, hat seit Mitte der 90er-Jahre seinen Marktwert beinahe versiebenfacht und diese wenigen Jahrzehnte haben East London für viele frühere Anwohner unerschwinglich gemacht. Innerhalb dieser Prozesse ist jedoch die Rolle von Künstlern nicht gänzlich unbedeutend, da spätestens seit den 1990er-Jahren die Stadtplanung, Investoren und Urbanisten den Wert der sogenannten Creative Class für die Aufwertung einkommensschwacher Stadtbezirke erkannt und für sich nutzbar gemacht haben. Für Künstlerinnen ergibt sich daraus eine paradoxe Situation zwischen Instrumentalisierung und Selbsterhalt, eine Identität zwischen Selbstverwirklichung und Schuldgefühlen. Diese psycho-soziale Konstellation bleibt allerdings nicht in den engen Grenzen neo-bohemistischer Selbstbilder, sondern bildet weit über das künstlerische Feld hinaus die Grundlage neoliberaler Erfahrung. Kulturelles Kapital, Wissen, Charisma, Geschmack und Distinktion sind mittlerweile weithin akzeptierte Alternativwährungen einer zunehmend bipolaren Ökonomie zwischen Prekariat und Überfluss. Auch davon erzählt das Geld: Die Spiegelung des zerrissenen Lebens.