Schwebend
Am Anfang war der Horizont – so könnte die Geschichte des Künstlers beginnen, der an den Lebensorten seiner Kindheit früheste Inspiration aus flachen Linien zog: den Linien des Ozeans bei Newport, Rhode Island, der Wüstenstriche in Arizona sowie der Architekturen Frank Lloyd Wrights. Wasser, Wüste und Wright fanden bei dem jungen, 1937 geborenen Robert Grosvenor zu einem Dreiklang zusammen, der in seinem sieben Dekaden umspannenden Werk nachhallt. Durch alle Schaffensphasen zieht sich, mit Grosvenors Worten, „a feeling for the horizon“, also ein Gespür für ozean- und wüstenbezogene Linien, aber auch für gegensätzliche Oberflächenwirkungen wie glatter Glanz gegenüber spröder oder samtiger Mattheit, zwischen denen seine Arbeiten wechseln. Prägende Erfahrungen materialisierten sich mit der Affinität für Boote und Autos in einem eigenwilligen Zusammenspiel aus Architektur, Maschinenbau und Skulptur. Seine Objekte sind poetische Verbindungen, die nicht eindeutig als das eine oder das andere lesbar sind; sie bleiben in der Schwebe des „fast wie“ oder „quasi“ – „quasi, I like that“, so der Künstler. Manche Objekte suggerieren in glänzendem Stromliniendesign Geschwindigkeit, andere wirken wie die schwindenden Hüllen von enttechnisierten Gefährten – oder vielmehr von entkernten Behausungen? Funktionslose Einzelstücke – oder liegt die Funktion in der Wirkung von „odd beauty“? Großes aus Holz und Stahl im Raum zwischen Boden und Decke in die Schwebelage zu bringen, aber auch kleine, kuriose Dinge auf dem Wasser, zeugt vom Erfindergeist und Humor Grosvenors. Die intellektuelle Strenge und rein neutralen Formen des Minimalismus hatte er früh hinter sich gelassen.
Diesen September ist Robert Grosvenor gestorben. Seine Geschichte geht weiter, durch sein Werk bleibt er, der unangepasste Künstler, gegenwärtig und für die jüngeren ein „strahlender Orientierungspunkt“. Den hochgeschätzten „Artist’s Artist“ würdigt das Fridericianum aus Anlass von 70 Jahren documenta mit einer Werkschau.
- Robert Grosvenor
- Fridericianum
- bis 11. Januar 2026
- Friedrichsplatz 18, Kassel
- Telefon +49 561 7072720
- fridericianum.org






