© Toba Khedoori, Albertina, Wien, Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-­Stiftung für Kunst und Wissenschaft
Toba Khedoori: Untitled (stick), Öl und Wachs auf Papier, 360,7 × 203,2 cm, 2005, Fridericianum ©
© Toba Khedoori, Regen Projects and David Zwirner, Foto: Tim Nighswander
Toba Khedoori: Untitled (branches 1), Öl auf Leinen, 80,6 × 105,1 cm, 2011–2012, Fridericianum ©

auge

Angelehnt an eine weiße Wand steht eine schmale Leiste. Die feinen Linien der Maserung sind gut zu erkennen. Licht fällt auf das Holz, das einen deutlichen Schatten zeichnet. Untitled (stick) ist eine außergewöhnliche Arbeit im Werk der australischen Künstlerin mit iranischen Wurzeln, Toba Khedoori (* 1964).

Das Außergewöhnliche ist nicht etwa das riesige Format (360 cm × 200 cm) oder das wachsimprägnierte Papier, das in der Regel ohne Rahmen an die Ausstellungswände getackert wird. Spuren des Schaffensprozesses sind auf dem Papier festgehalten und verleihen den Werken Khedooris eine eigene Realität. Auf ihren Papierarbeiten, aber auch den jüngsten, kleineren Leinwandformaten finden sich freigestellte Ansichten des Alltags, wie sie oft auf Fotos zu sehen sind: Stuhl, Weg, Zaun, Häuser, Hände, Wolken, Berge. Sie sind, ganz wie der unbenannte Gegenstand (stick), in Öl, gelegentlich Graphit, festgehaltene Cut-outs der Realität. Auf die copy-and-paste-artige Verdoppelung verweist auch die gleichbleibende Titelstruktur: Untitled (stick), Untitled (chain-link-fence) oder Untitled (table and chair).
Während jedoch die meisten Arbeiten Khedooris in einem unbetitelten weißen Raum als monumentale Miniaturen jedem konkreten Kontext entzogen und auf sich selbst zurückgeworfen scheinen, besitzt der Stick, bei dem der Malgrund die Funktion der Wand einnimmt, einen eigenen, illusionistischen Bildraum. Mehr noch, der markante Schatten – ein Element, das in kaum einem anderen Werk Khedooris derart hervortritt und hier die Funktion der Wand durch seinen Verlauf zu bestätigen scheint – verwandelt unter dem Blick des Betrachters die angelehnte Leiste in ein ganz neues Objekt: ein spitzes, in die Tiefe des Raums ragendes Dreieck. Khedooris künstlerisches Interesse an Doppelungen und der zu Mustern verschaltenden Wahrnehmung von Strukturen wird hier auf ganz reduzierte Art und Weise deutlich. Ihr metaphysisches, philosophisches Interesse an der Konstruktion von Wahrnehmung ließe sich am Beispiel des (fehlenden) Schattenmotivs bis hin zu Platons Höhlengleichnis diskutieren.

Das Fridericianum in Kassel widmet Toba Khedoori und ihrem vielschichtigen und meisterhaft ausgeführten Werk ab Anfang Oktober eine erste Einzelausstellung in Deutschland. Es werden rund 30 Werke aus den Jahren 1994 bis 2021 zu sehen sein.

  • Fridericianum
  • Toba Khedoori
  • 9. Oktober 2021 bis 20. Februar 2022
  • Friedrichsplatz 18, 34117 Kassel
  • Telefon +49 561 7072720
  • Di, Mi, Fr – So und Feiertage 11 – 18 Uhr, Do 11 – 20 Uhr
  • fridericianum.org
Abonnieren Sie den maecenas, das Magazin der Hessischen Kulturstiftung.