© Felix Breidenbach
Felix Breidenbach: Meditations on entropy, (entropic painting no. 8), 2021 ©
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Felix Breidenbach: Daedalus Tower 1&2, (Europe), 2017 ©
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Felix Breidenbach: Untitled (study), 2020 ©
Felix Breidenbach: 13 (Prologue), Performance/single channel HD video installation, Video still, Financial district, NYC, 2020

stipendiat felix breidenbach

Der 1986 in Langen bei Frankfurt geborene Felix Breidenbach hat seine künstlerische Ausbildung als Meisterschüler des Fotokünstlers Andreas Gursky an der Kunstakademie in Düsseldorf absolviert. Heute arbeitet er medienübergreifend mit Elementen der Skulptur, der Malerei, der Fotografie, der Zeichnung und der Videokunst.

Während seines Stipendienjahrs 2019/20 im New Yorker Atelier der Stiftung arbeitete er ausgehend von den raumtheoretischen Überlegungen des französischen Kulturphilosophen und Soziologen Michel de Certeau an dem Zusammenhang von Stadtgeschichte, moderner Architektur und Gesellschaft. Turm und (Stadt-)Labyrinth sind zwei wichtige Bezugspunkte in der Arbeit von Felix Breidenbach, die er in Kreisläufen aus Entstehen und Vergehen, Natur und Kultur verdichtet.

Während und nach seinem Aufenthalt in New York entstanden unter anderem die Videoarbeit (13) Prologue und die Publikation Foundation (13). Im Video sieht man zu einem zerrenden Herzschlag-Beat der Komponistin und Künstlerin Chris Dreier von der Corona-Pandemie leergefegte Straßen New Yorks, das Meer, die Docks. Anders als der labyrinthisch getaktete Schnitt des Videos ist die Publikation in 13 Stockwerken aufeinandergeschichtet. Seine Arbeiten assoziiert der Künstler mit der mythologischen Geschichte von Dädalus und dem Sturz seines Sohnes Ikarus, aus denen er die Motive des Fliegens und Fallens entwickelt.

In New York beschäftigte sich Felix Breidenbach außerdem mit Fragen der Nachhaltigkeit in der Kunstproduktion und entwickelte daraus selbst auferlegte Beschränkungen, die die Form seiner Arbeiten mitbestimmen. In seinem Offenbacher Atelier traf sich Dr. Sylvia Metz mit dem Künstler zum Interview.

Sylvia Metz Gerade ist deine Publikation Foundation (13) im Distanz Verlag erschienen. Worum geht es darin?

Felix Breidenbach Kurz gefasst geht es um sehr persönliche Erfahrungen der letzten vier Jahre. Meine Vergangenheit, Erfahrungen, die ich während meines Atelierstipendiums in New York gemacht habe, und die aktuellen Ereignisse korrelieren auf ganz merkwürdige Art. Da schließt sich für mich in gewisser Weise ein Kreis. Deswegen ist das Buch auch wie eine Ablage strukturiert. Man fängt mit den aktuellsten Ereignissen an und arbeitet sich in der Zeit zurück. Gleichzeitig gibt es diese Analogie zu einem Gebäude. Die Kapitel sind Stockwerke, und man liest sich quasi vom 13. Stock nach unten in die Lobby.

Metz Neben deinen Arbeiten hast du Texte von drei Autor*innen aufgenommen.

Breidenbach Genau, von Anna Lena Seiser, Pujan Karambeigi und Franco Berardi. Alle drei haben in dem eben erwähnten Erfahrungsprozess für mich eine ganz besondere Rolle gespielt. Pujan Karambeigi und Franco Berardi habe ich in New York kennengelernt. Anna Lena Seiser kannte ich schon aus Düsseldorf aus ihrer Zeit an der Kunsthalle. Sie hat mich in New York besucht. Ich war zu der Zeit gerade mit einer Serie von Papierarbeiten über fallende Menschen beschäftigt, und sie hatte „zufällig“ eine alte Textarbeit von sich zum Thema Fallen dabei. Das hat sich auf eine Art verbunden, die sich fast gar nicht mehr wie ein Zufall anfühlte.

Metz „Fallen“ ist ein besonderes Thema in deinen Arbeiten. Ich assoziiere damit vor allem einen Kontrollverlust. Ist das eine grundlegende Idee deiner Arbeiten?

Breidenbach Das trifft zu hundert Prozent zu: Fallen als Kontrollverlust, als Zwischenstadium zwischen etwas, das wir – vermeintlich – kontrollieren, und einem ungewissen Ausgang. Es ist eine Krisensituation. Es gibt ja zum Beispiel das mittelalterliche Motiv des Engelssturzes, der wiederum nicht mit dem Tod endet, sondern mit der Geburt anfängt. Es beginnt also mit dem Fall in die irdische Realität. Dann richten wir uns gleichsam auf und sehen uns in einer Welt, die wir nicht verstehen, und müssen uns darin orientieren …

Metz … und fallen eigentlich die ganze Zeit? …

Breidenbach … ja, und fallen eigentlich die ganze Zeit! Ich meine sogar, dass wir im Grunde nie die Kontrolle über unser Leben erlangen. Das merken wir im Moment natürlich besonders stark.

Metz Mit Werktiteln wie Daedalus-Block oder der Videoarbeit 13 (Prologue), die die Geschichte von Ikarus weitererzählt, verbindest du deine Arbeiten mit der griechischen Mythologie. Warum?

Breidenbach Ich finde die Geschichte von Daedalus sehr prägnant. Sie hat mir dabei geholfen, den gegenwärtigen Zustand unserer Realität zu beschreiben. Er wird als prototypischer Architekt und Erfinder geschildert. Aber mir kommt sein Charakter ganz paradox vor: Auf der einen Seite vertritt er hohe Ideale, auf der anderen Seite ist ihm für seinen Erfolg jedes Mittel recht. Diese ambivalente Haltung finde ich sehr passend, um unsere heutige westliche Gesellschaft zu beschreiben – diese Hybris, die in allem drinzustecken scheint. Die legt Daedalus auch als Architekt und Erbauer des Labyrinths für König Minos auf Kreta an den Tag.

Für mich ist das Labyrinth ein Konzept von Urbanität. Das Verirren als weitere Form des Kontrollverlusts. Nur erkennen wir nicht immer, dass wir uns in einem Labyrinth befinden. Wir können eigentlich überhaupt nur noch von oben, gleichsam von der Spitze eines Turms, überblicken, wo wir gerade sind. Diese erhöhte Sicht, die in einem spirituellen Kontext die Nähe zum Göttlichen definiert, steht für Einsicht und Erkenntnis. Gleichzeitig birgt sie die Gefahr des Sturzes, oder des Absturzes. Damit sind wir bei Ikarus, dem Sohn des Daedalus. Ikarus fliegt zu hoch hinaus, stürzt ab und fällt ins Meer.

Metz Wie schließt sich hier der Keis zu deinem Buch? Wenn ich dich richtig verstanden habe, hängen die verschiedenen Themen alle miteinander zusammen.

Breidenbach In meinem Buch wollte ich die Geschichte nicht mit diesem Absturz enden lassen, das fand ich zu negativ. Deswegen fängt das Buch damit an, dass eine Figur aus dem Meer steigt: einer Art Wiedergeburt. Natürlich hat sich die Welt durch den Absturz nicht verändert, trotzdem provoziert er eine Art Neustart. Natürlich könnte man mir hier Naivität vorwerfen: Ich kann Geschichte, Verletzung und Unrecht nicht rückgängig machen. Aber vielleicht hat die Kunst an dem Punkt auch die Möglichkeit, eine Utopie anzuskizzieren.

Metz Wie könnte diese Utopie konkret aussehen?

Breidenbach Für mich sind die Themen des Fliegens, des Fallens und des Neustarts archetypisch, sie bergen in sich uto­pisches Potenzial. Sie wiederholen sich stetig und besitzen damit einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit in der Kunst. Ich ver­suche, meinen Beobachtungen dazu eine allgemeingültige Ebene zu geben. In meinen Arbeiten konkretisiert sich das dann fast von selbst.

Metz Du entscheidest dich häufig für eine sperrige Aufstellung deiner Arbeiten, derzeit zum Beispiel in der Frankfurter Galerie Rundgaenger, die sich aber wunderbar mit der Architektur zusammenfügt. Was interessiert dich an einer solchen Präsen­tationsform?

Breidenbach Mir geht es darum, auf die Gegebenheiten vor Ort einzugehen. Ich gehe nicht mit einer starren Konzeption in den Raum, denn die lokalen Bedingungen spielen eine Rolle, die sich immer auch in meine Arbeit einschreibt. Ich möchte mit der Präsentation einen Moment der Irritation erzeugen. Die Arbeiten nehmen für sich in Anspruch, auch ohne den Kunstkontext zu funktionieren. Das ist für mich ein ewiges Dilemma: Inwieweit kann Kunst auch ohne den Kontext des Kunstbetriebs Gültigkeit oder Wirksamkeit entwickeln?

Metz Gehst du damit auch gegen den sogenannten White Cube an?

Breidenbach Ja, ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass der White Cube nur noch ein Konzept ist, ein Idealzustand, der architektonisch gar nicht mehr darstellbar ist – ein Raum ohne jede räumliche Information, ohne Kontext. Ich denke, das wäre die interessanteste Form, etwas zu betrachten: jede Art von Kontext wegzunehmen. Das würde aber auch bedeuten, dass man nicht weiß, wie man selbst dort hineingekommen ist, wo der Raum sich befindet, wem dieser Raum gehört.

Metz Das ist interessant. In deinen Arbeiten sehe ich immer konkrete Bezüge zum Raum. Betrachter*innen sehen zwar nicht, auf welchen Ort du dich beziehst, aber du setzt dich deutlich sichtbar mit Architektur auseinander: der Turm, Grund- oder Aufrisse, Fotografien von Hochhäusern oder Stadtraum.

Breidenbach Architektur ist eher ein Vehikel für mich. Ich interessiere mich zwar für Architektur als solche, aber in meiner Arbeit nimmt sie mehr eine organisatorische Rolle ein. Ich denke Architektur vielmehr als System, als strukturelles Prinzip von Inhalten, die aufeinander bezogen sind.

Metz Du setzt dich mit sehr aktuellen, aber auch grundsätzlichen Themen auseinander: der Verortung des Menschen in der Gesellschaft oder unserem Umgang mit der Natur. Die Themen verbinden sich bei dir aber immer mit deinen künstlerischen Mitteln. Zum Beispiel hast du das Papier für deine letzten Werke selbst geschöpft, oder du beschränkst dich in deiner Farbwahl auf Schwarz und Weiß. Warum?

Breidenbach Das folgt einem relativ strengen Prinzip und entspricht meiner persönlichen Einstellung: Wenn etwas nicht nötig ist, dann lasse ich es weg. Das Ausgangsmaterial für das Papier ist Altpapier. Es besteht aus Überresten, und auch die Werkzeuge sind alle schon da. Ich habe fast nichts dazugekauft, alles ist im Grunde upgecycelt. Solange Farbe keinen inhaltlichen Mehrwert bietet, findet sie in meinen Arbeiten eigentlich nie statt.

Metz Was verhandelst du hier mit den Farben Schwarz und Weiß?

Breidenbach Bei diesen Arbeiten ist es so, dass ich sehr stark von der Zeichnung ausgehe. Zeichnung hat für mich etwas Archaisches. Das ist für mich Kohle oder etwas Gefundenes auf möglichst hellem Untergrund. Um diesen zeichnerischen Kon­trast zu haben, bin ich bei Schwarz-Weiß geblieben.

Metz Aus kunsthistorischer Perspektive wird die Zeichnung gern als Urform und Grundlage der Malerei betrachtet, auch von Skulptur und Architektur. Was reizt dich an der Zeichnung?

Breidenbach Bei der Zeichnung schätze ich vor allem das Unmittelbare und das Unbewusste sehr. Ich bin quasi dazu verdammt, das Richtige zu tun. Ich kann eine Entscheidung nicht mehr revidieren. Sie hat etwas Absolutes und Ehrliches, da gibt es keine Rettungstür. Ich finde, sie steht damit auch gänzlich im Kontrast zu unserer heutigen visuellen Umwelt, deren Medien ganz anders funktionieren.

Metz Was genau meinst du, soziale Medien, digitale Formate, Werbung oder auch filmisches Erzählen?

Breidenbach Ich meine vor allem Oberflächen oder Effekte, die etwas suggerieren oder über einen mangelnden Inhalt hinwegtäuschen, weil sie einen kurzweiligen, vielleicht ästhetischen
Alltagsmoment verschaffen. Bei genauerer Betrachtung ist so ein Moment jedoch nicht nur kurzweilig, sondern auch kurzlebig.
Er hat keinen Bestand.

Metz Glaubst du, dass Beständigkeit oder ein Ewigkeitsan­­spruch Themen unserer heutigen, vom Wandel geprägten Gesellschaft sind?

Breidenbach Das sind Fragen, mit denen ich mich schon länger beschäftige, die aber immer mehr in den Vordergrund rücken. Das war ein schleichender Prozess. Gerade durch Erfahrungen in New York und den direkten Kontrast zu der Zeit vorher in Nepal hat sich das nochmals verstärkt. Den Blick in die asiatische Philosophie habe ich immer wieder unternommen, und er ist für mich ein wichtiger Referenzpunkt. Im Vergleich zur westlichen Denkweise gibt es dort keinen abgeschlossenen Zustand. Es geht um den ständigen Wandel, um die Akzeptanz des Unbeständigen, aber auch um die Schönheit im Unbeständigen. Es ist also der stete Wandel, der für mich Bestand hat. Das ist natürlich schwer festzuhalten, ohne selbst beliebig zu werden. Für mich persönlich zeigt sich dieser Wandel in der Unvollkommenheit, dem vermeintlichen Fehler, aber auch in einer gewissen Spiritualität. Er wendet sich gegen das abgeschlossene Werk oder auch gegen einen monolithischen Ewigkeitsanspruch von Dingen und Zuständen.

Metz Wenn man deine Arbeiten betrachtet, merkt man schnell, dass es dir oft um Leerstellen geht. Spielst du in deinen Arbeiten mit diesem Konzept von Anwesenheit und Abwesenheit?

Breidenbach Ich denke schon, ja. Für mich hat Miles Davis dieses Präsentsein in der Abwesenheit auf den Punkt gebracht: „Jazz is not the notes you play, it’s the notes you don’t play.“ Es kommt also auch auf das an, was man nicht zeigt, nicht spielt, nicht ausdrückt. Dieser Gedanke hat für mich noch eine andere Ebene erreicht, weil wir gegenwärtig in vielen gesellschaftlichen Bereichen über Verzicht sprechen. Verzicht ist eine grundsätzliche Einstellung von mir, die sich vielleicht auch in der Arbeit zeigt.

Metz Formal äußern sich Verzicht und Reduktion in deinen Arbeiten sehr deutlich. Du reflektierst darüber hinaus auch die Rolle von Kunst in der Gesellschaft. Welche Denkprozesse oder gesellschaftliche Debatten möchtest du anstoßen?

Breidenbach Ich finde es schwierig, mit meinen Arbeiten auf größere gesellschaftliche Debatten einzuwirken, weil da eine direkte Verbindung fehlt. Das wäre natürlich wünschenswert, eine direkte Verbindung zwischen dem, was in der Kunst geschieht und dem gesellschaftlichen oder politischen Körper, denn obwohl viele wichtige Themen verhandelt werden, fehlen gesellschaft­liche Konsequenzen. Ich denke aber, man muss da anfangen, wo man sich selbst befindet, erst mal bei einem selbst und dann bei dem Umfeld, das man erreichen kann. Von dort aus kann es weitergehen.

Metz Wie fängst du denn konkret an? Ich sehe etwa bei den neuesten Arbeiten den Aspekt des Recyclings. Außerdem sind sie faltbar und einfach zu transportieren.

Breidenbach Ich versuche, an allen Ressourcen zu sparen. Dieser Ansatz umfasst beispielsweise das Recycling von Material und Werkzeug oder die Minimierung des Aufwands für Lagerung und Transport. Ich habe mich dann gefragt, wie ich überhaupt noch etwas machen kann. Wie bekomme ich meine Kunst und die größtmögliche Schonung von Ressourcen miteinander verzahnt? Ich kam auf die Idee, das Papier und die Werkzeuge selbst aus Müll herzustellen. Selbst das Wasser, das ich für diesen Prozess benutze, ist Koch- oder Duschwasser aus meinem Haushalt. Es geht darum, möglichst wenige Ressourcen ausschließlich für meine Kunst aufzuwenden und dann zu sehen, was überhaupt möglich ist. Die Ergebnisse dieses Herstellungsprozesses wiederum falten und auf möglichst effiziente Art lagern oder auch verschicken zu können war für mich nur konsequent.

Metz Dieses effiziente Vorgehen hat sich 2020 als sehr praktisch erwiesen, oder? Du konntest nach dem Ausbruch der Pandemie im Frühjahr, als du in unserem New Yorker Atelier warst, deine Kunst einfach falten und in den Koffer packen. Es ging darum, dass du innerhalb einer Woche ausreisen musstest. Eine prä­gende Erfahrung für dich?

Breidenbach Absolut. Aber an dem Punkt hat sich dann – auch hier – alles verbunden: Die Überlegungen zu Material und Logistik haben auf einmal eine Anwendung gefunden und sich als praktisch und wirksam erwiesen. Es finden ja gerade interessante, neue Überlegungen dazu statt, wie man auch auf dem Kunstmarkt Dinge logistisch anders organisieren kann. In meinen Augen muss das bei der Kunst anfangen, sie steht am Anfang. Es müssten die Künstler*innen sein, die sich dazu etwas überlegen: alternative Verpackungen, Pfandsysteme für Kunstkisten, die Herkunft des Materials. Da gibt es zahlreiche Details zu bedenken. Es gibt auch Künstler*innen, die sagen, sie reisen nicht mehr. Natürlich hätte ich solche Erfahrungen wie in New York nicht ohne Reisen machen können. Ich glaube auch nicht, dass totaler Verzicht, zum Beispiel auf Reisen, eine Lösung ist. Deswegen bin ich auch weit davon entfernt, andere zu kritisieren.

Metz Ich danke dir für das Gespräch, lieber Felix!

Breidenbach Es war mir ein Vergnügen.

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