©Jonas Brinker

Film-Still aus interval, 2022, 4k Video, 1:45 Min.

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Film-Still aus interval, 2022, 4k Video, 1:45 Min.

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Film-Still aus stray, 2020, 4k video, 5:37 Min.

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Production-Still aus dem Film nightfall (Arbeitstitel)

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Production-Still aus dem Film nightfall (Arbeitstitel)

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Production-Still aus dem Film nightfall (Arbeitstitel)

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stipendiat jonas brinker

Jonas Brinker wurde 1989 in Bochum geboren und studierte zunächst an der Slade School of Fine Art in London und später an der Städelschule Frankfurt bei Douglas Gordon und Willem de Rooij, wo er 2018 als Meisterschüler abschloss. Jonas Brinker lebt und arbeitet in Berlin, doch viele seiner Videos beginnen mit einer Reise. Seine zeitbasierten Arbeiten sind Studien über die Poesie der Beobachtung. Vor dem künstlerischen Prozess steht oft eine lange geduldige Betrachtung der Umgebung. Nachdem der Künstler die Besonderheiten seiner Umgebung und ihrer Bewohner:innen im filmischen Zeitverlauf erfasst hat, verdichtet er sein umfangreiches Filmmaterial zu einer komprimierten Form.

Mit dem MoMA-Kurator Carson Chan spricht Brinker über die erste Fassung einer neuen Arbeit, die während seines Stipendienaufenthaltes in New York im Sommer 2022 entstanden ist. Chan ist der Gründungsdirektor des Emilio Ambasz Institute for the Joint Study of the Built and Natural Environment am Museum of Modern Art in New York.

Carson Chan Wir haben uns im Sommer 2022 kennengelernt, als du in New York City warst, um Glühwürmchen im Central Park zu filmen. Erzähl mir, wie es dazu gekommen ist.

Jonas Brinker Ich habe ein Reisestipendium der Hessischen Kulturstiftung erhalten, um die Glühwürmchen im Central Park zu untersuchen. New York ist ein Ort, der vielen Menschen durch Fernsehen, Filme und andere Medien vertraut ist. Bilder und Klänge dieser Stadt können bei Menschen bestimmte Emotionen hervorrufen. Wir können ein starkes Gefühl von Nostalgie für die Stadt empfinden, eine Sehnsucht, selbst wenn wir noch nie dort gewesen sind. Der erste Teil meines Videos nightfall (Arbeitstitel) zeigt Nahaufnahmen von Glühwürmchen, doch durch verschiedene Geräusche wie die des Verkehrs oder Sirenen bekommt man ein Gefühl dafür, dass wir uns in der Stadt befinden, vielleicht sogar an einem uns vertrauten Ort.

Chan Warum interessierst du dich für Glühwürmchen? Ist das Video entstanden, weil du in New York warst, oder warst du in New York, um dieses Video zu machen?

Brinker An Glühwürmchen fasziniert mich die Art und Weise, wie ihr intermittierendes Leuchten das Verstreichen der Zeit misst. An, aus, an, aus. Ich verbinde das mit der zeitlichen Linearität von bewegten Bildern, jedes Einzelbild folgt der Erinnerung an das letzte. Wenn ich mit der Arbeit an einem Video beginne, möchte ich dem Material keine vorgegebene Erzählung aufzwingen. Meine Arbeit beginnt, wenn ich neugierig genug auf etwas bin. Dann vertiefe ich mich in die Umgebung des Subjekts – und diese Subjekte sind in der Regel nicht-menschlich. In diesem Fall habe ich die Glühwürmchen im Central Park durch meine Kamera festgehalten und versucht, für alles offen zu sein, was ich dazu aufnehmen kann. Das Ergebnis ist ein Produkt der Stadt New York – und ich bin genau dorthin gereist, um speziell diese Arbeit zu erstellen.

Chan Zeit und Aktualität sind Themen, über die ich nachdenke, wenn ich dieses Video anschaue. Es kommt auch eine Art Dringlichkeit in der Arbeit zum Ausdruck. Es gibt ein Gefühl von Zeit, die vergeht, ein Gefühl, dass die vergangene Zeit nicht zurückgewonnen werden kann. Glühwürmchen leben nicht sehr lange. Sie leuchten, um Partner anzuziehen und sich zu reproduzieren. Es entsteht beim Betrachten ein Gefühl dafür, dass das, was wir im Video sehen, zu einer sehr bestimmten Zeit aus einem sehr bestimmten Grund passiert.

Brinker Der Lebenszyklus von Glühwürmchen ist sehr faszinierend. Nach dem Lar­ven­­stadium, das bis zu drei Jahre andauert, stellen die meisten Glühwürmchenarten als adulte Käfer die Nahrungsaufnahme ein und konzentrieren sich ausschließlich auf die Paarung. Die Männchen fliegen umher und blinken ihre charakteristischen biolumineszenten Lichtmuster, während die Weibchen mit ihren eigenen Lichtsignalen antworten. Sie sterben bald nachdem sie einen geeigneten Partner gefunden und sich fortgepflanzt haben. Ihr Leben erlischt gewissermaßen in einem Funken Licht. Die Paarungszeit dauert je nach Art und Umweltbedingungen einige Tage bis wenige Wochen an. Ich bin sehr von der kompromisslosen exzessiven Schönheit dieses Prozesses angezogen. Glühwürmchen sind mit dieser Strategie schon sehr lange Zeit erfolgreich. Durch Fossilienfunde ist heute bekannt, dass sie seit etwa 100 Millionen Jahren in der Lage sind, zu leuchten und somit mit Licht zu kommunizieren. Heute gelten aufgrund von Habitatverlust, Umweltverschmutzung und Klimawandel mehrere Arten von Glühwürmchen als gefährdet. Man würde es nicht denken, aber der Central Park stellt für sie eine Art Zufluchtsort dar. Als die Glühwürmchen im letzten Jahr Ende Juni auftauchten, verbrachte ich jede Nacht im Park mit ihnen, um so viel wie möglich zu filmen.

Chan Dein Video ist nur wenige Minuten lang und wird kontinuierlich wiederholt. In den Wochen musst du viel Filmmaterial gesammelt haben. Erzähl mir etwas über den Bearbeitungsprozess. Wie hast du so viel Material in eine so kurze Form komprimiert?

Brinker Tatsächlich habe ich nur etwa sechs Stunden Filmmaterial. Das ist im Vergleich zu den Wochen, die ich mit Beobachten und Warten verbracht habe, nicht viel. Glühwürmchen sind sehr schwer zu filmen, weil sie klein sind und sich am Anfang der Paarungszeit viel bewegen. Wenn ich den Kamerafokus auf eines eingestellt habe, ist es gut möglich, dass es schon wieder weg ist, bevor ich es aufnehmen kann. Für den Schnitt schaue ich mir das Filmmaterial zunächst chronologisch an. Ich kann in der ersten Durchsicht bereits viel Material aussortieren und mit jeder weiteren Durchsicht filtere ich mehr Material heraus, bis ich zu einer Art Essenz komme, die die Gesamtheit der Aufnahmen und meine Erfahrungen vor Ort widerspiegelt. Ich denke, mein Ziel ist es auch, etwas von dem Gefühl der Zufriedenheit und Empathie zu vermitteln, das ich aus so vielen Nächten mit ihnen gewonnen habe.

Chan In dem Video gibt es einen Moment, in dem wir ein Glühwürmchen fliegen sehen und dann im Hintergrund Flugzeuge und Hubschrauber hören. Kurz darauf sehen wir Luftaufnahmen von New York bei Nacht aus einem Helikopter. Ist Fliegen ein weiteres Thema, das du in diesem Werk bearbeitest?

Brinker Die Szenen aus einem Hubschrauber, der nachts auf die Stadt hinabschaut, sollen eine vollständig andere Perspektive auf die Stadt bieten. Als ich das Video schnitt, kam mir Stanley Kubricks berühmter Match Cut¹ aus 2001: A Space Odyssey (1968) in den Sinn, bei dem die Aufnahme eines fliegenden Knochens plötzlich auf einen Satelliten im Orbit kreisend schneidet. Der Schnitt symbolisiert die Evolution von Menschheit und Technologie und suggeriert, dass der Knochen und das Raumschiff beides Werkzeuge sind, um unsere Wünsche zu erfüllen. In gewisser Weise können wir den Schnitt vom umherfliegenden Glühwürmchen zum Hubschrauber, der über die Stadt fliegt, als Darstellung der Co-Evolution von Natur und Technologie sehen. Ich sehe die blinkenden Lichter auf den Spitzen der Wolkenkratzer und die leuchtenden Organe der Glühwürmchen beide als Erfüllung desselben zugrunde liegenden Zwecks, nämlich zu kommunizieren und anzuziehen.

Chan Interessant, dass in dieser Arbeit die Idee des Fluges nur ein Nebeneffekt deines Interesses an Licht ist. Tiere spielen in deinem Werk allgemein eine wichtige Rolle. Da ist die Katze, die auf einem Parkplatz in deiner Arbeit Tuesday, 31.01.2017 herumwandert. Es gibt das Rudel streunender Hunde in einem Wüstental in stray (2020) und dann ein Hund aus dem gleichen Rudel, in interval (2022), der zwei Jahre später in den architektonischen Ruinen eines unvollendeten Urlaubsresorts zu sehen ist. Warum interessieren dich Tiere?

Brinker Ich denke über unser Verhältnis zu anderen Tieren nach und wie Tiere von uns in der Geschichte der Kunst und Kultur dargestellt wurden. Sie werden oft symbolisch verwendet: Löwen bedeuten Macht, Wölfe repräsentieren Freiheit. Die Katze in Tuesday, 31.01.2017 erzählt eine andere Geschichte. Sie wurde in gewisser Weise die Regisseurin des Videos, da ich derjenige bin, der ihr folgt. In meinen Arbeiten geht es mir darum, ,Umwelt‘ als die Koexistenz von Menschen, nicht menschlichen Tieren, Pflanzen und den natürlichen Phänomenen, die ihre gemeinsame Welt formen, zu zeigen. Interval beginnt mit einem schwarzen Hund, der gelassen aus dem Bild läuft. Wir sehen das Betonskelett einer Bauruine, das vor einem wolkenlosen blauen Himmel in Silhouette vor dem Ozean am Horizont steht, der Klang von Wellen durchdringt die Szene. In meiner Arbeit werden die Hunde, die Landschaft, die Elemente und die Architektur in statischen Aufnahmen präsentiert, die es ihnen erlauben, als das zu existieren, was sie sind – mit ihrer eigenen Stimme – in der Gesellschaft der anderen.

Chan Wie ist deine Position zum Einverständnis in deinen Videos, in denen Tiere vorkommen? Hast du darüber nachgedacht, was Hunde oder Glühwürmchen von deiner Arbeit halten könnten? Oder ist die Übertragung des Konzepts der Zustimmung auf die Weltanschauung der Glühwürmchen eine Anthropomorphisierung?

Brinker Das sind wichtige Fragen, die gestellt werden müssen, und ich denke darüber nach, wenn ich filme. Zunächst einmal können wir nicht wissen, ob Tiere das Konzept des Filmens oder die Aufzeichnung von Zeit und Ereignissen überhaupt verstehen. Vielleicht einige? In den von dir erwähnten Videos waren keine Tiere in Gefangenschaft, so dass sie sich immer entscheiden konnten zu gehen. Sie hatten jederzeit die Möglichkeit, sich von mir zu entfernen. Ich kann nicht sagen, ob die Hunde, die ich in der Wüste gefilmt habe, verstehen, dass sie aufgenommen wurden – aber zumindest hatten sie die Freiheit wegzugehen oder mich sogar anzugreifen, wenn meine Anwesenheit sie gestört hätte.

Chan Ich weiß nicht genau, wie ich zu der Frage der Zustimmung in Bezug auf das Filmen von Tieren stehe, aber deine Videos haben diese Fragen für mich aufgeworfen. Selbst wenn wir nicht von Zustimmung sprechen können, gibt es definitiv etwas, das du mit deinen Protagonist:innen teilst.

Brinker Als ich 2020 damit begann, die Hunde zu filmen, verbrachte ich vier Wochen lang jeden Tag mehrere Stunden mit ihnen. Nachdem ich das Video (stray) fertig bearbeitet hatte, war es mir sehr wichtig, sie wiederzusehen und erneut aufzunehmen. Wegen der Pandemie dauerte es weitere zwei Jahre, bis ich zurückkehren konnte. Durch ihr Verhalten mir gegenüber nehme ich an, dass sie mich möglicherweise wiedererkannt haben. Am letzten Drehtag gingen sie irgendwann einfach weg. Ich hatte das Gefühl, dass mir damit gestattet wurde, zu gehen – oder anders gesagt, mir war es wichtig, dass sie entschieden, wann unsere Begegnung endete.

Chan Was denkst du über Naturdokumentationen? Diese Filme werden oft auf eine Weise geschnitten, dass sie ein bestimmtes Narrativ anbieten.

Brinker Ich versuche, Tiere so zu zeigen, wie sie sind, nicht wie ich sie haben möchte. Ich will nicht beschreiben, wie sie fressen, schlafen oder jagen. Es geht nicht nur um Naturdokumentation. Tiere werden ständig von Menschen für ihre Erzählungen benutzt. Ich denke dabei an Donna Haraways Essay² über Dioramen von Naturszenen im Natural History Museum in NYC. Wenn wir ein Bild von einem männlichen Löwen auf einem Felsen sehen, der über eine Landschaft schaut, bedienen wir uns Jahrhunderte alter Topoi. Als ich die Videos mit den Hunden geschnitten habe, wollte ich die Möglichkeit für Interpretationen möglichst offenhalten. Ich möchte nicht vorgeben, wie die Leute diese Tiere sehen sollen. Aber ich akzeptiere auch, dass Szenen, in denen die Hunde in die Landschaft blicken, uns möglicherweise an ein Gemälde von Caspar David Friedrich erinnern. Letztlich können wir die Welt nur durch unsere Augen sehen.

1 Match Cut = Technik der Filmmontage, bei dem in eine Bewegung hineingeschnitten und diese in einem anderen Bildmotiv fortgesetzt wird.

2 Donna Haraway, Teddy Bear Patriarchy: Taxidermy in the Garden of Eden, New York City, 1908–1936, in: Social Text, No. 11 (Winter, 1984–1985),
S. 20-64), Duke University Press

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