© Zuzanna Czebatul, Foto: Ludger Paffrath
Zuzanna Czebatul: Probably a Robbery, Polystyrol, Acrylgips, Pigmente, Holz, Metall, 315 × 195 × 88 cm, 2021 ©
© Zuzanna Czebatul, Foto: Bartosz Górka
Zuzanna Czebatul: T-Kollaps, Ausstellungsansicht, Polyethylen, Teppich, Farbe, 320 × 100 × 100 cm, 2019 ©
© Zuzanna Czebatul, Foto: Ludger Paffrath
Zuzanna Czebatul: Ausstellungsansicht im Kunstpalais Erlangen 2021 ©
© Zuzanna Czebatul, Foto: Alwin Lay
Zuzanna Czebatul: Kryptofaschistischer Verblendungszusammenhang, Polyethylen, Filz, Hanf, Metall, Zeichnungen auf Papier, 174 × 30 × 40 cm, 2021 ©

stipendiatin zuzanna czebatul

Zuzanna Czebatul (* 1986) ist Bildhauerin und interessiert sich für die Durchbrechung von Grenzen jeglicher Art. Das können tradierte Sehgewohnheiten in der Kunst sein, Rollenzuschreibungen zwischen den Geschlechtern oder vermeintlich eindeutige Herrschaftssysteme. Czebatul lebt und arbeitet in Berlin. 2013 schloss sie ihr Studium der bildenden Kunst an der Städelschule in Frankfurt am Main ab und besuchte später als Fulbright-Stipendiatin das MFA-Programm am Hunter College in New York. Sie hatte bereits zahlreiche internationale Einzel- und Gruppenausstellungen, darunter 2021 im Kunstpalais Erlangen und auf der Athen Biennale, in der Kunsthalle Bratislava (2019) und im MINI/Goethe-Institut Ludlow 38, New York (2015). Im Sommer 2022 wird Czebatul an der Geneva Biennale: Sculpture Garden teilnehmen.

Soeben hat das Magazin Monopol die Künstlerin anlässlich der Veröffentlichung ihres ersten und zugleich sehr schön gestalteten Katalogs als „eine der bemerkenswertesten jungen Bildhauerinnen“ bezeichnet. Zu Recht, wie wir finden!

Ihre bildgewaltigen und nicht selten monumentalen Skulpturen sind von einer berauschenden materiellen Vielfalt gekennzeichnet, die von Plüsch über PVC bis hin zu Beton oder Stahl reicht. Weder ein bestimmtes Material noch ein Thema sind für Czebatul wertvoller als ein anderes, und sie vergleicht das mit Menschen und Freundschaften: Die einen mag man, weil sie ruhig sind, die anderen, weil sie so lebhaft sind. Es geht ihr in ihrer künstlerischen Praxis, in der sie gern einmal Motive aufgreift, die von der Gesellschaft ignoriert werden, jedoch nie um eine Anklage, sondern um die Sichtbarmachung eines Problems.

Mit Dr. Sylvia Metz spricht die Künstlerin im Interview über ihr verschobenes Reisestipendium, ihre erste Einzelausstellung in Deutschland, ihr Interesse an Architektur und über die Notwendigkeit der Weiterführung des gesellschaftspolitischen Diskurses in und mit der Kunst.

Sylvia Metz Zuzanna, du hattest für das Jahr 2020 ein Reise­stipendium der Hessischen Kulturstiftung erhalten und wolltest damit nach New York fahren. Zu der Reise ist es aufgrund der Covid-19-Pandemie bislang nicht gekommen. Was genau wolltest du in New York machen?

Zuzanna Czebatul Ich wollte – und will noch immer – die Geschichte der Steinmetze New Yorks genauer in Augenschein nehmen. Die handwerklichen Zünfte und Innungen, die entstanden sind, als die Stadt errichtet wurde, haben nicht nur technischen und ästhetischen Einfluss auf die Gründerzeit gehabt. Verbände, Gewerkschaften und Vertretungen wirkten sich auf den Stand der Handwerker*innen und ihre Familien aus und resultierten zum Beispiel in besserer Bildung und sozialer Absicherung. Diese historischen Aspekte zu untersuchen und der Frage nachzugehen, warum jenes kulturelle, wirtschaftliche und politische Fundament heute so porös geworden ist, ist für mich als Bildhauerin sehr spannend, vielleicht als Umkehrung der sozialen Plastik oder als ihre Erweiterung auf urbaner Ebene.

Metz Kannst du deine Pläne nun später umsetzen?

Czebatul Ja, die Reise soll ab April stattfinden, und ich kann es kaum erwarten. Die Pandemie und ich arbeiten daran.

Metz Man kann wirklich nicht behaupten, dass du in der Zwischenzeit untätig gewesen bist. Zurzeit hast du eine Gastprofessur an der Fakultät für Bildende Kunst der Technischen Universität Brünn inne und bist zeitgleich in mehreren internationalen Gruppenausstellungen vertreten. Gerade erst ist deine erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland im Kunstpalais Erlangen zu Ende gegangen. Worum ging es in der Ausstellung?

Czebatul Meine Ausstellung The Happy Deppy Ecstasy Institute stellte Fragen nach Macht, ihrer symbolischen Verkörperung und danach, wie Machtverhältnisse unsere soziale Wirklichkeit strukturieren. Für das Kunstpalais habe ich nicht nur neue Skulpturen produziert, sondern ein künstlerisches Raumprogramm erstellt, das sich wie eine Parodie auf real aufgeführte Endzeitspektakel lesen lässt. Zu sehen gab es mächtige Gaspipelines, mannshohe Türme aus Körperpanzern oder die Raubkopie eines Louvre-Fassadenteils – alle Arbeiten spiegeln dabei meine Faszination für geopolitische Themen und monolithische Formen wider.

Metz Anlässlich der Ausstellung ist auch ein umfassender Katalog erschienen. Dieses Buch reflektiert nicht nur durch die Auswahl der Autor*innen und ihrer Texte deine jetzt schon beachtliche internationale Ausstellungspraxis und dein Interesse an politischen, kulturhistorischen und philosophischen Fragen. Möchtest du etwas zu der Komplexität dieser Monografie sagen?

Czebatul Das Buch ist in der Tat groß und schwer und hat einen Einband aus Kunstleder. Es sollte als Objekt funktionieren, mit einer Haptik, die mein Interesse an Materialität und Monumentalität widerspiegelt. Mit der Einladung des Kunstpalais kam auch das wundervolle Angebot, einen Ausstellungskatalog zu machen. Wir haben Autor*innen und Kurator*innen wie Kate Brown, Benoît Lamy de la Chapelle, Marie Madec und Tom Engels eingeladen, sich mit meinem Werk auseinanderzusetzen, da ich ihre kritische Haltung sehr schätze. Da ich mich immer etwas geniert habe, ein echtes Buch für eine einzige Ausstellung zu produzieren, war jetzt der Zeitpunkt gekommen, eine etwas ausführlichere Übersicht meiner Arbeit anzusteuern. Das Kunstpalais hat meinem Wunsch großzügigerweise zugestimmt, wofür ich sehr dankbar bin. Dementsprechend reichen die darin aufgeführten Arbeiten mehr als sechs Jahre zurück, und dazwischen gibt es sechs umfangreiche und wundervolle Textbeiträge und eine Art Gazette, in der einige meiner politischen Quellen, Inspirationen, Heldinnen und ein bisschen Quatsch vereint sind. Das Ganze ist im Distanz Verlag erschienen. Ich werde mindestens einen Baum pflanzen diesen Frühling!

Metz Du sprichst hier zwei Dinge an, die für das Verständnis deiner Arbeit wichtig sind: Humor und dein Interesse an gesellschaftlichen Prozessen. Wie bringst du beides in deinen Werken zusammen?

Czebatul George Bernard Shaw hat wohl einmal gesagt: „If you want to tell people the truth, you’d better make them laugh or they’ll kill you.“ Auch wenn ich die Wahrheit nicht kenne, versuche ich doch, gesellschaftspolitische Themen ambig zu verhandeln, sodass Raum bleibt für Handlungsspielräume. Sexy oder freudebringende Ästhetik macht erstens Spaß und verführt, anstatt von einer Auseinandersetzung abzuschrecken. Die beiden Karyatiden in meiner Arbeit Probably A Robbery (2021), eine Raubkopie eines Fassadenfragments des Louvre, betören durch ihre Anmut und ihre Erhabenheit. Ich habe die beiden Frauen ganz in der Tradition des patriarchalen Imperialismus geraubt und ausgestellt. Sie können nun ohne Scham bewundert werden und verweisen gleichzeitig auf die Absurdität ihrer Existenz.

Ein anderes Beispiel ist meine Ausstellung T-Kollaps, in der ich 2019 einen griechischen Tempel als aufblasbare Ruine nachgebildet habe. Die Schau fand in der Städtischen Galerie GGM1 in Danzig statt, kurz nachdem ein tödliches Attentat auf den Danziger Bürgermeister verübt worden war. Er war ein scharfer Kritiker der rechtskonservativen Regierung. Die Ruine, hergestellt aus semi-transparentem, milchig-weißem Plastik in dem roten Ausstellungsraum, nahm – bis auf die Farbkombination – keinen Bezug auf die damalige und fortdauernde Situation in Polen, da es nicht das einzige Land ist, in dem demokratische Grundpfeiler ausgehöhlt oder sogar schon brach liegen.

 
Metz In dieser Ausstellung hast du als Material billiges Polyethylen benutzt. Ich verstehe deine Materialwahl hier (und in vielen deiner Arbeiten) als Gesellschaftskritik und zugleich als politisches Statement. Siehst du das selbst auch so?

 
Czebatul Ja, genau. Das Austauschen von Marmor gegen Plastik spricht für sich. Die Folie wird als Verpackungsmaterial von Konsumgütern verwendet und verleiht der Erhabenheit des Vorbilds etwas Groteskes. Wobei es erstaunlich ist, dass antike Architektur selbst als billiges Plastikimitat immer noch Schönheit aufgrund ihrer Proportionen und Ordnung ausstrahlt. Da wird die Ikonografie der abendländischen Hochkultur nochmals hinterfragt und bestätigt, umso besorgniserregender ist der gegenwärtige Zustand des westlichen Fundaments im Spätkapitalismus.

 
Metz Woher kommt eigentlich dein Interesse an Architektur und Denkmälern, zumeist historisch monumentalen?

 
Czebatul Wenn ich an Skulptur denke, ist das Haus nicht weit. Und sein Inhalt sind wir ja selbst. Objekte wie Skulpturen, Mahnmale oder Monumente verkörpern das, was wir von Häusern erwarten, nur, dass diese eben auch noch funktional sein müssen. Deswegen sind sie verwandt und verknüpft mit dem Körper. Macht wird immer riesig dargestellt, um den Bewohner*innen einer Stadt zu sagen, wo sie stehen. Die politische Ebene von Kunstwerken im öffentlichen Raum ist so spannend, da sie uns allen einen Platz zuschreiben will. Der männliche heterosexuelle weiße Cis-Körper hat ja die meisten Rechte und Freiheiten und wird dementsprechend häufig ehrenvoll in Kleidung und auf einem Pferd oder zumindest auf einem Sockel gezeigt. Der Frauenkörper hingegen ist meistens nackt und hat weder Persönlichkeit noch Geschichte, außer vielleicht die der Jugendlichkeit. So hat jede Epoche ihre gebieterischen Ausdrucksformen, manchmal sind sie sehr eindeutig, manchmal abstrakter, doch immer repräsentieren sie die gegenwärtigen Beziehungsmuster zwischen Herrschenden und Beherrschten. Die heute aufgestellten Werke im öffentlichen Raum stehen ganz in den Diensten eines Hyperkapitalismus, der die Machtverhältnisse auf uns zurücklenkt und uns zu unseren eigenen Knechten macht. Die Arbeiten von Jeff Koons zum Beispiel zeugen von einer hohlen Glätte, in der sich Warenfetischismus und die Vermarktung der infantilen Freiheit widerspiegeln. Kunst im öffentlichen Raum ist meistens herrschaftsstabilisierend, selten emanzipierend.

 
Metz Glaubst du, dass deine Kunst – und Kunst generell – diese gesellschaftlichen Verstrickungen aufdecken und damit zu einer Veränderung dieser toxischen Beziehungsmuster beitragen kann? Ich denke, während ich dich das frage, zum einen an deine Serie Time Cloud (2021), mit der du auf die Proteste in Hongkong vom August 2019 aufmerksam machen willst. Mir fällt auch deine Beuys-Arbeit Kryptofaschistischer Verblendungszusammenhang ein, die 2021 in der Ausstellung Der Katalysator Joseph Beuys und Demokratie heute im Museum Morsbroich zu sehen war …

 
Czebatul Ich könnte nun einfach mit „ich hoffe das sehr“ antworten, aber das wäre zu kurz gegriffen. Diese Frage verlangt nach einer differenzierten Antwort. In China gibt es ganze Dörfer, die in Arbeitsteilung und im Akkord für den europäischen und US-amerikanischen Markt malen. Auch prominente westliche Künstler*innen lassen Bilder in China billig anfertigen, die dann auf den internationalen Messen teuer gehandelt werden. Meine Serie Time Cloud illustriert die wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Verflechtungen zwischen China und dem Westen. Als ich im August 2019 zum ersten Mal in Hongkong war, kaufte ich die aktuelle Ausgabe des Time Magazine, deren Titel-Story die Demokratiebewegung war. Das Cover zeigte einen von Tränengas umgebenen Demonstranten in einer für die Stadt charakteristischen Häuserschlucht. Dieses Bild ließ ich in fünffacher Ausführung von einer chinesischen Manufaktur anfertigen. Auf diese Weise habe ich ein vermutlich der Zensur unterliegendes Bild in China reproduzieren lassen und thematisiere damit die aus der europäischen Geschichte resultierenden Konflikte und die damit verbundenen gegenwärtigen wirtschaftlichen Beziehungen.

In der Plastik Kryptofaschistischer Verblendungszusammenhang, ein Titel so sperrig wie das Erbe Joseph Beuys’, versuche ich auf das kulturpolitische und ideologische Korsett, in dem sich Künstler*innen ab einer bestimmten Karrierestufe befinden können, einzugehen: Joseph Beuys, der den kulturellen Wiederaufbau des immer noch von nationalsozialistischen Strukturen und Persönlichkeiten geprägten Deutschlands maßgeblich mitgestaltet hat, ist für mich auch nach 100 Jahren noch ein Wärmepflaster auf der Nachkriegskälte und der stockenden „Ent-Nazifizierung“ Deutschlands. Nach wie vor steht seine Rolle im Nationalsozialismus im Schatten dieser vor dem Hintergrund globaler Klimaerwärmung als pionierhaft geltenden 7000 Eichen, und ich wünsche mir, dass er eher als Helfer und Zuarbeiter einer ideologischen Mammutaufgabe, denn als eigenständig agierender Künstler untersucht würde. Es ist nicht seine Schuld, welche Form sein Werk angenommen hat, und es wäre bedauerlich, diese Ebene der Funktion von Kultur nicht anhand seiner Biografie zu untersuchen.

 
Metz Sind diese Untersuchungen – und auch die Weiterführung des gesellschaftspolitischen Diskurses in und mit der Kunst – eine Aufgabe deiner und auch der nachfolgenden Generation von Künstler*innen?

Czebatul Unbedingt. Ich finde es wichtig, diese Debatten und auch die um die Erinnerungskultur lebendig zu halten und weiterzugeben. Mit meiner Klasse in Brünn behandle ich genau das: Wir setzen uns mit Denkmälern, Monumenten und zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum auseinander. Die Ergebnisse unseres Semesters werden Ende Februar in der Sammlung Philara in Düsseldorf zu sehen sein: Die Ausstellung Adjustable Monuments, kuratiert von Katharina Klang und Julika Bosch, untersucht neue Formen der Erinnerungskultur. Als ich eingeladen wurde, an diesem tollen Projekt teilzunehmen, erschien es mir logisch, die nächste Generation Kulturschaffender miteinzubeziehen. Katharina und Julika haben zugestimmt, und wir freuen uns sehr, elf Modelle von Kunstwerken in einer umfassenden Installation zu zeigen. Der Diskurs muss offenbleiben und weitergeführt werden, denn es gibt noch viel zu tun.

Metz Das ist ein passendes Schlusswort. Ich danke dir für das interessante Gespräch.

Czebatul Ich danke recht herzlich und würde an dieser Stelle gerne die Empfehlung aussprechen, durch die eigene Stadt wie eine Touristin spazieren zu gehen. Denn dabei fallen mir immer wieder bis dato übersehene Formulierungen geschichtlicher oder zeitgenössischer Machtverhältnisse auf. Selbst in Berlin entdecke ich ständig Neues.

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