editorial

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

hätten Sie gedacht, dass der Februar einen Ableger hervorgebracht hat, den ,Februarian‘, und damit die Beschreibung für eine Person, die allzeit the life of the party ist und maximal aufregend dazu? Man fragt sich, auf welchem Boden dieses junge Pflänzchen gewachsen ist.

Im Grunde hat der Februar seit jeher wenig Heiteres und Aufregendes; als der zweite Monat des Jahres bringt er uns in der Regel eher verhangene Tage. Manch einen treibt die Ausgelassenheit des Narrenmonds an, mit dem Winter auch die Müdigkeit zu vertreiben, andere erfreuen sich lieber still am Anblick der Frühblüher des sonnigeren Taumonds. Wahrhaft revolutionär geht der französische Revolutions­kalender ab 1792 mit dem Monat um. Nicht der zweite, sondern aufgeteilt auf den fünften und sechsten Monat des Kalenderjahres ist er. In französisiertem Latein von schönem Klang spricht die Zweiteilung ,Pluviôse et Ventôse‘ allerdings auch nur den Regenmonat und Windmonat aus.

Im vorrevolutionären Sturm und Drang verarbeitet Goethe die trübe Februarstimmung in seinem Werther-Roman. Die Hauptfigur, Werther, teilt sich entsprechend mit: Entweder sei das Wetter abscheulich, schreibt er an die geliebte Lotte, oder irgendein Mensch verderbe ihm den Tag. Dann trifft ihn die Erkenntnis, dass die Geliebte an den ihr Versprochenen verloren ist, und es folgt Werthers „Leb wohl“ – der Abschwung in die tödliche Ménage-à-trois.

Einem Februar-Blues lässt sich etwas entgegensetzen, etwa die „Freude an sich selbst“, um die auch Werther in jenen Tagen wusste. Heute gibt es dafür den Single Aware­ness Day einen Tag nach Sankt Valentin, um das Leben un­d die Liebe in ihren vielfältigen Formen auch außerhalb der romantischen Zweierbeziehung zu feiern: die Liebe zu sich selbst, zur Familie, zu Freunden.

Den Blick auf Krisen weiten, um Krisen zu lösen – dieses Thema vertieft das Frankfurter Weltkulturen Museum derzeit in einer Ausstellung mit Begleitpublikation. Eine illustre Begegnung mit dem Werther verspricht der Besuch des Lottehauses in Wetzlar, wo Romanszenen seltene und jüngst erworbene Meissener Porzellane schmücken. Erhellend ist die Lektüre des Buches von Christa Lichtenstern über Goethes Plastiktheorie, das einen gewandelten und bis in die Moderne nachwirkenden Skulpturbegriff vorstellt. Die Schau Roberto Cuoghi in Kassel konfrontiert mit dem komplexen Werk des Künstlers und ungewohnten Seherfahrungen.

Und schon mal in den Mai geblickt: Zur Feier des 30-jährigen Bestehens der Reise- und Atelierstipendien der Hessischen Kulturstiftung eröffnet der Kunstverein Assenheim am 7. Mai die Ausstellung To See a World in a Grain of Sand.

Anregende Lektüre und viele heitere Aussichten in diesem Jahr wünscht Ihnen

Eva Claudia Scholtz
Geschäftsführerin der
Hessischen Kulturstiftung