© Simon Speiser 2018
Simon Speiser: In a Young World of Resplendent Glitter, VR-Screenshot, 2018 ©
Foto: Nick Ash © Simon Speiser 2018.
Simon Speiser: In a Young World of Resplendent Glitter, Teppich, 2018 ©



stipendiat simon speiser

Was unterscheidet Mensch von Maschine, was die Tiere vom Menschen oder die Götter von den Sterblichen? Gibt es diese Unterschiede und wo verläuft die Trennlinie? Was bedeutet Ökologie, wenn Natur nicht als das große Andere zur Menschheit, zu Technologie, zur Kunst und Kultur gedacht wird? Fragen, die weltweit – von Donna Haraway bis Timothy Morton, von Tetsumi Kudo schon in den 1960er Jahren bis zu der Schau And there will come soft rain bei basis e.V. im vergangenen Frühjahr – mit wachsender Aufmerksamkeit diskutiert werden.

Die Science Fiktion-Narrative und digitalen Bildformate von Simon Speiser (*1988) bewegen sich in diesem Umfeld. Der Künstler mit deutsch-ecuadorianischen Wurzeln hat mit dem Reisestipendium der Hessischen Kulturstiftung 2017 die Regenwälder Ecuadors und Brasiliens bereist. Schon im Studium, das Speiser 2014 als Meisterschüler bei Michael Krebber und Willem de Rooij an der Städelschule abgeschlossen hat, beschäftigen ihn kulturell unterschiedliche Konzepte von Natur. Verwoben mit der eigenen Biografie spielen physische und immaterielle Ereignisse, Objekte und Geschichten in seinen technikaffinen Arbeiten ineinander: mit nahezu unendlichen Möglichkeiten, über die Karin Görner und Simon Speiser im Interview gesprochen haben.

Aus dem Reiseprojekt ist die VR-Produktion In a Young World of Resplendent Glitter (12min, VR, 2018. Regie: Simon Speiser, Musik: Negroma und Mobilegirl, Stimmen: Billy Bultheel, Lyra Pramuk, Luzie Meyer, Produktion: Clare Molloy, Software­architektur: Marcel Karnapke) entstanden. Mit verschiedenen Installationen war Simon Speiser zuletzt bei Paradise is now in der Galerie Robert Grunenberg, Berlin, vertreten; 2017 im Pariser Bétonsalon mit einer Performance zur Ausstellung A Hard White Body von Candice Lin und im dortigen Goethe-Institut bei der Präsentation FOKUS FRANKFURT – basis.aperçu.

 

Karin Görner Herr Speiser, Sie arbeiten mit Text in Science-Fiktion-Kurzgeschichten und skulpturalen Objekten in bildgebenden Medien wie 3D-Druck und VR-Technologie. Ausgangspunkte und Schauplätze Ihrer fiktiv-virtuellen Geschichten und Installationen sind in den realen Regenwäldern Südamerikas verortet – wie verbinden Sie diese Themen in Ihrer künstlerischen Arbeit?

Simon Speiser Die Finca meines Vaters in Ecuador ist ein Ort, der mich schon seit dem ich ein kleines Kind war, begleitet. Es ist ein naturbelassener Dschungel mit zwei kleinen Bächen und einem Haus auf Stelzen, ein Ort, an dem man der Natur am nächsten ist. Jedoch habe ich die meiste Zeit meines Lebens weit entfernt von der Finca gelebt, trotzdem packt mich die Erinnerung an dieses Stück Land immer wieder von Neuem. Dieser Spagat zwischen tropischen Regenwald und einem technologisch geprägten Alltag fasziniert und inspiriert mich Formen zu finden, die Technologie und Natur miteinander verbinden.

Science Fiction, ein Genre, das immer wieder nach neuen Formen sucht und keine Grenzen kennt, hat sich mir als ideales Medium erschlossen. Das Erzählen von Geschichten macht Welten auf, die ihren eigenen Bezugsrahmen schaffen, in dem ich wiederum mit meinen skulpturalen, digitalen oder gedruckten Arbeiten agieren kann. Meine Skulpturen und Drucke fungieren hier als eine Art Brücke zwischen Fiktion und Realität. Sie sind Beweisstücke dafür, dass eine Idee, ein Gedanke oder eine Erinnerung Wirklichkeit schafft.

Görner Auch Ihr Stipendiumsprojekt führt wieder in die Regenwälder. Sie sind 2017 nach Ecuador und Brasilien gereist mit dem Arbeitskonzept Nature after Nature, das sich vor Ort dann aber erweitert hat, wie Sie sagen. Worum ging es dabei?

Speiser In meinem Stipendiumsprojekt ging es mir darum, den Zustand von Natur in einer Gesellschaft, die sich hauptsächlich in von Menschen geschaffenen Umgebungen bewegt, zu beschreiben. Natur existiert hier in gewisser Weise nur als Konzept. Man könnte das als einen traurigen Zustand beschreiben, jedoch denke ich, dass die Idee Natur eine essentielle Funktion in unserem Leben hat. Sie ist ein Referenzpunkt, ein Traumort, ein fantastischer Rückzugsort. Ich knüpfe in der Arbeit In a Young World of Resplendent Glitter an eine Geschichte an, die ich seit 2013 immer wieder um ein Kapitel erweitere. Sie handelt von den Matuhis, eine künstliche Vogelart, von Menschen geschaffen, mit telepathischen Fähigkeiten. Die Matuhis dienen den Menschen als Kommunikationsmedium und obwohl sie eine neue Lebensform sind, werden sie als Maschinen ausgebeutet. Getrieben vom Wunsch nach Freiheit schaffen die Matuhis in ihrem kollektiven Bewusstsein einen virtuellen Wald, den Sparkling Forest. Diese künstlichen Wesen, die den Höhepunkt der Entfremdung von Natur verkörpern, schaffen somit ein neues virtuelles Ökosystem, einen Wald, der seine eigene Entwicklung durchläuft und zum Nährboden einer neuen Welt wird.

In diesem neuen Kapitel der Matuhi-Geschichten wird man von den Matuhi in ihren Wald eingeladen und man kann mit ihnen durch den Sparkling Forest fliegen. Ich habe hierfür eine Virtual-Reality-Experience entwickelt, die aus einer Collage von 3D-Scans gebaut ist, die ich in Ecuador und Brasilien in verschiedensten Regenwäldern aufgenommen habe.

Auch diese Arbeit hat eine physische Komponente, in Referenz zu Ada Lovelace, die erste Programmiererin überhaupt. Sie war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an der Entwicklung der Analytical Engine beteiligt, die als Vorgänger der Computer zu sehen ist und in automatisierten Webstühlen Verwendung fand.

Ich habe Szenen aus dem VR-Piece weben lassen, die pointilistische Ästhetik reflektiert die Ästhetik der 3D-Scans, die aus Millionen kleiner Pixel bestehen und sich auflösen, wenn man sich nähert, oder zu einem Bild verschmelzen, wenn man sie aus der Entfernung betrachtet. Ich möchte damit auf den evolutionären Charakter von Technologie hinweisen und den Bogen vom Anfang der Programmierung bis zum Beginn der heutigen Virtual Reality spannen.

Görner Weg von einem Naturbegriff, der Technologie und alles Menschengemachte in Opposition zum „Natürlichen“ stellt … Wie setzen Sie die Brücke über diese romantische Idee von Natur in visuelles Material um, was stellen Sie aus in Ihren installativen Arbeiten?

Speiser Die Entwicklung meiner Arbeiten beginnt zumeist am Computer, egal ob bei Drucken, Skulpturen, Installationen oder Virtual Reality-Arbeiten. Die Bild- und Formsprache fußt aber zu großen Teilen auf organischen Formen, Pflanzen und Vögel sind mitunter die wichtigsten Inspirationsquellen für meine Arbeiten. Mein Großvater ist Hochlandindianer und heißt mit Nachnamen Guaman, was auf Quechua Vogelmann bedeutet. Ich glaube,
es gibt in meiner Familie schon lange eine enge Beziehung zu Vögeln.

Meine Kurzgeschichten, die Teil meiner Ausstellungen sind, liegen meist aus und können vor Ort oder auch nach der Ausstellung gelesen werden. Ich mag es, wenn man beim Lesen in Gedanken in die Ausstellung zurückversetzt wird oder Elemente der Ausstellung sich im Kopf mit der Geschichte verweben.

Im Laufe meiner Reisen durch Ecuador und Brasilien habe ich ein Archiv an Fotos, Video und 3D-Scans angesammelt. Aus diesem Material werden sich noch ganz verschiedene Arbeiten entwickeln. Beyond the Forest habe ich November letzten Jahres in Paris im Bétonsalon gezeigt, als Teil eines Performance-Programms in der Ausstellung von Candice Lins A Hard White Body. Ich ließ einen Drucker ein endloses Panorama ausdrucken, das sich langsam aber stetig im Raum ausbreitete.

In a Young World of Resplendent Glitter habe ich dieses Jahr im April zum Gallery Weekend in Berlin gezeigt, Robert Grunenberg ist schon sehr früh auf die Arbeit aufmerksam geworden, als sie noch in der Entwicklung war. Ende 2017 stellte er das Programm für Paradise is Now, Palmtrees in Art, die Eröffnungsausstellung seiner Galerie Robert Grunenberg Berlin, zusammen.

Görner Noch ein Blick in die nahe Zukunft: Sie arbeiten im Moment schon, gemeinsam mit der Künstlerin Stephanie Comilang, an einem Folgeprojekt in den Philippinen. Können Sie uns dazu noch etwas sagen?

Speiser Wir sind noch ganz am Anfang eines neuen Projektes, ich möchte noch nicht allzuviel dazu sagen, aber wir arbeiten an einem neuen VR-Piece, was sich mit dem Konzept von AI (Artifical Intelligence) und digitalen Assistenten in Bezug auf Schamanismus und spirituellen Führern auseinandersetzt, im Besonderen im Fall der Babaylan, den präkolonialen Schamanen der Philippinen. Es ist sehr spannend, mit Stephanie Comilang zusammen zu arbeiten, da wir sehr unterschiedliche Ansätze in unser künstlerischen Praxis haben. Stephanie kommt eher vom Film und ich würde sagen, dass mein Ansatz eher in der Skulptur ihren Ursprung hat. Gleichzeitig beschäftigen wir uns beide mit Narrationen und das Medium VR verbindet in gewisser Weise filmische Erzählung mit Konzepten von Skulptur/Installation.