Kastanienholz, Aquarellfarbe, 16x16,6 x13,3 cm © Ernst Stark, Fotos: Gilles Hirgorom, Paris
Ernst Stark: bois de boulogne (le joggeur), 2008 ©
Kastanienholz, Aquarellfarbe, 15,7 x 17,6 x 14 cm © Ernst Stark, Fotos: Gilles Hirgorom, Paris
Ernst Stark: bois de boulogne II (la chapelle), 2008 ©
Kastanienholz, Aquarellfarben, 14 x19,5 x 14,7 cm © Ernst Stark, Fotos: Gilles Hirgorom, Paris
Ernst Stark: bois de boulogne III (la tempête), 2008 ©
Platanenholz, Aquarellfarbe, 8,2 x 14,7 x 10,2 cm © Ernst Stark, Fotos: Gilles Hirgorom, Paris
Ernst Stark: Cluny, 2008 ©



ein bildhauer in paris
Stipendiat Ernst Stark

Im Pariser Atelier der Hessischen Kulturstiftung ist zurzeit der Bildhauer Ernst Stark (*1965) zu Gast – vollkommen freiwillig, als Citoyen wohlgemerkt. Seine Miniaturen, Reliefs, Figuren und Objekte arbeitet Stark aus verschiedenen Hölzern, manchmal im Bronzeguss. Als Vorlagen dienen ihm eigene und gefundene Fotografien, Gesehenes und Erinnertes, die er zu dreidimensionalen, meist kolorierten Bildern verdichtet.

Die neuen Arbeiten, die uns der Künstler im folgenden Interview vorstellt, können Sie im Original in Paris besichtigen: Ernst Stark ouvre sa porte am 18. Mai 2008 in der Cité Internationale des Arts, Atelier 1412, 18 rue de l’Hotel de Ville. Noch bis zum 23. Mai zeigt die Galerie Heike Strelow in Frankfurt am Main in der Ausstellung Beyond Nature. Natur- und Landschaftsdarstellungen im 21. Jahrhundert ebenfalls einige seiner Skulpturen.

hks Ernst, Du bist der erste Bildhauer im Pariser Atelier der Kulturstiftung, dort allerdings von bester kollegialer Gesellschaft umgeben: Auguste Rodin – in Frankreich ein Nationalheld, Camille Claudel, Brancusi, Giacometti, Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp lebten und arbeiteten in der Stadt. Im Moment zeigt Louise Bourgeois eine Retrospektive ihres Werkes im Centre Pompidou. Wie ist es Dir in Paris ergangen, Deine Stipendiumszeit nähert sich ja dem Ende?

stark Am Anfang war es hart. Ich kam hier an ohne ein Wort Französisch. Ich hatte mich für ein Stipendium in den USA beworben, und plötzlich fand ich mich in Frankreich wieder. Ich habe die Menschen nicht verstanden. Aber vor allem habe ich die Stadt nicht verstanden: ihren Rhythmus, ihre Geschwindigkeit, ihre Regeln. Alles war neu, alles war so ganz anders für mich, als ich es kannte. Es kam zu merkwürdigen, fast schon absurden Situationen, in denen ich mir hilflos und sehr verloren vorkam.

Ich fing also an die Sprache zu lernen und mir die Stadt anzueignen. Ich war sehr viel unterwegs. Zuerst allein. Dann lernte ich Leute kennen. Mit der Zeit fühlte ich mich sicherer, und ich begriff, dass gerade diese Situation für mich sehr spannend war: keine Erwartungen, keine Bilder, keine Vorstellungen, keinen Plan zu haben. Was es bedeutet, hier in Paris zu sein, und einige der wirklich großen und wichtigen Bildhauerkollegen aus nächster Nähe zu betrachten, auch das habe ich erst so richtig begriffen, als ich schon hier war. Ich habe die Ateliers von Rodin, Brancusi, Giacometti, Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp gesehen. All diese Leute sind hier sehr, sehr präsent. Es kommt mir vor, als lebte ich mit ihnen in einer Art Wohngemeinschaft oder Familie.

hks … womit wir ja wieder bei den sozialen Errungenschaften der 68er wären. Hat die virtuelle WG Einfluss genommen auf Deine künstlerische Arbeit? Was war wichtig in dieser Hinsicht, was ist entstanden aus der anfänglichen Planlosigkeit und der Fremdheit, von der Du gesprochen hast?

stark Die virtuelle WG fand ich anregend und gut. Aber die Beschäf­tigung mit den Bildhauerkollegen führte nicht direkt zu neuen Arbei­ten.

Ich hatte mich ja vor Paris sehr mit dem Thema Landschaft befasst und als ich hier ankam, dachte ich, die Stadtlandschaft könnte vielleicht mein Thema werden. Aber es funktionierte nicht. Die Stadt war einfach zu groß, zu schön, zu aufgeräumt – Pont Neuf, Notre Dame, Tour Saint-Jacques, all diese wunderbaren Kulturdenkmäler sind ja inzwischen perfekt restauriert worden und erstrahlen in frischem Glanz. Diese ganze Pracht und Schönheit, Entschuldigung, aber ich dachte mir, Ernst, was hat das denn mit dir zu tun?

In einem abgelegenen Teil des Bois de Boulogne fand ich dann – ich war auf der Suche nach Holz zum Arbeiten – mein Thema. Es gab dort einen Baum, der gefällt werden sollte. Er stand in ­einer ziemlich wilden, ja für Pariser (französische) Verhältnisse geradezu unglaublich wilden Gegend. 1999 hatte ein Sturm dort große Verwüstungen angerichtet und seitdem herrschte das ­Chaos.

Ich war fasziniert und fotografierte die Landschaft, den lebenden Baum, später den gefällten Baum. Dann schaffte ich das Holz in mein Atelier und begann nach den Fotos zu arbeiten. Es entstanden modellartige Landschaften, in die sehr stark Biografisches mit einfloss. Der Zyklus beginnt mit einer Joggerin im Wald und endet mit der Miniaturdarstellung eines Sarges.

hks Die neuen Arbeiten sind mit verschiedenen Symbolen der Vergänglichkeit versehen wie bühnenbildhafte, barocke Vanitas-Darstellungen: der verwüstete Wald, die Totenschädel, die einsame Joggerin, schließlich die Kapelle – mit Aquarellfarben angelegte, meditative, ja religiös anmutende Tableaus in drei Dimensionen. Bist Du ein moderner Romantiker, auf der Suche nach der unregelmäßigen Perle?

stark Mich interessieren die Brüche und Gegensätze, die Dinge hinter den Dingen, das, was sich unter der Oberfläche abspielt. Auch das Scheitern. In einem langwierigen, manchmal müh­sa­men Prozess, der dem eines Archäologen nicht unähnlich ist, lege ich Bilder frei. Es ist ein Graben und Bohren, Schicht für Schicht, niemals gelingt ein schneller Wurf. Meine Arbeiten erzählen von großen und nicht ganz so großen Gefühlen, von Abgründen und Geheimnissen. Sie sind hoffnungslos romantisch.

Kunst entsteht ja nicht aus rationalen Gründen. Nehmen wir zum Beispiel die Arbeit Cluny. Ich fand das Tier im Musée du Cluny auf einem der berühmten Wandteppiche Die Dame mit dem Einhorn. Seit ich die Teppiche gesehen habe, bin ich von ihnen wie verzaubert; ich finde, sie haben eine magische Ausstrahlung. Die Teppiche entstanden seinerzeit vermutlich als Verlobungsgeschenk des Jean de Chabannes an seine Angebetete, Claude Le Viste, und sie erzählen von nichts anderem als der Liebe. Man muss sich das einmal vorstellen: da lässt jemand einen Zyklus von sechs Wandteppichen weben, die alles bisher Gesehene weit hinter sich lassen, um eine Frau zu umwerben.

hks Dieses Begreifbar-Machen von existenziellen Dingen oder Zuständen ist ja ein großes, altes Thema in der Kunst. Und gerade die kleinen Formate, die du aus dem Holz herausarbeitest, könnten – sozusagen im Ausschnitt – die unumgänglichen Anwürfe des Lebens bewältigbarer darstellen? – Leider sind wir schon fast am Schluss angekommen und ich möchte Dich gerne noch nach Deinen beruflichen Plänen für die Zeit nach Beendigung des Stipendiums fragen?

stark Ich werde über das Stipendium hinaus noch eine Weile in Paris bleiben und an den hier begonnenen Werkgruppen weiterarbeiten. Übrigens habe ich jetzt doch noch eine Arbeit zum Thema Stadtlandschaft begonnen: Sie wird aus einer Vielzahl von kleinen Reliefs bestehen und den Titel Ciel du Paris bekommen. Ich schnitze also den Himmel von Paris …

Nach fast einem Jahr im Atelier der Hessischen Kulturstiftung ist mir diese Stadt sehr ans Herz gewachsen. Ich bin glücklich und froh, und ich möchte mich an dieser Stelle bei der Stiftung bedanken, die mir den Aufenthalt hier ermöglicht hat.

Das Gespräch führte Karin Görner.