© Amalia Barboza
Amalia Barboza: Für Raphaela: In einem Bekleidungsgeschäft für Putz- und Bedien-personal aus Ipanema in Rio de Janeiro probierte ich eine ganze Serie Uniformen an: von Kochuniformen bis zur Kindermädchen-Uniform. Ich kaufte mir ein hellblaues Kleid und einen weißen Haarschutz. Ich zog das Kleid an, ließ mir die Haare mit dem weißen Netz befestigen, verabschiedete mich und verbrachte den Rest des Tages in Uniform. ©
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Amalia Barboza: Für Clara: In São Paulo sammelte ich tropische Früchte als Vorlagen für neue Getränke-Etiketten. ©
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Amalia Barboza: Für Clara: In São Paulo sammelte ich tropische Früchte als Vorlagen für neue Getränke-Etiketten. ©
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Amalia Barboza: Für Clara: In São Paulo sammelte ich tropische Früchte als Vorlagen für neue Getränke-Etiketten. ©
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Für Clara: In São Paulo sammelte ich tropische Früchte als Vorlagen für neue Getränke-Etiketten. ©
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Für Clara: In São Paulo sammelte ich tropische Früchte als Vorlagen für neue Getränke-Etiketten. ©
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Abschied: Letztes Foto der Reise (Ich mit einer Maske des ehemaligen Präsidenten Lula da Silva). ©
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stipendiatin
amalia barboza

Amalia Barboza (*1972) ist bildende Künstlerin und promovierte Soziologin. In beiden Fachrichtungen arbeitet sie über die Potenziale einer Verbindung von wissenschaftlichen mit künstlerischen Konzepten und Fragestellungen. 

Mit ihrem Stipendium der Hessischen Kulturstiftung hat Barboza, selbst in Argentinien geboren und seit ihrer Kindheit in Europa lebend, eine künstlerische Recherche durchgeführt zu transkulturellen Identitäten in Frankfurt am Main. Unter dem Arbeitstitel Brasilien: Entfernte und benachbarte Tropen. Eine Reise in drei Akten galt ihr Interesse brasilianischen Emigrantinnen und Emigranten, die aus unterschiedlichen Gründen ihr Herkunftsland verlassen haben und jetzt in Frankfurt leben. Ihre Auseinandersetzung mit musealen, kulturhistorischen und aktuellen, persönlichen Bildern von Brasilien führte sie zu einer Art Topografie „gekreuzter Welten“, in denen auch die Künstlerin und Wissenschaftlerin in Erscheinung tritt.

Nach einem Soziologiestudium an den Universitäten Madrid und Konstanz hat Amalia Barboza an der Hochschule für Bildende Künste Dresden bildnerische Medien studiert und als Meisterschülerin bei Prof. Eberhard Bosslet abgeschlossen. Zur Zeit ist sie Juniorprofessorin an der Universität des Saarlandes.

Ihre künstlerischen Arbeiten, Objekte, Installationen, Filme und Fotografie sind in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen vertreten, zuletzt in Frankfurt am Main 2014 bei Be Poet in Verdade Brasil, 2011 bei der Commerzbank in Draperies, bei der Galerie Heike Strelow in Modeled Realities, im AtelierFrankfurt Im Rampenlicht und 2012 im Kunstraum Peripherie, Coburg, in Brot und Salz

26. Februar 2014

Drei Tage vor dem Beginn des Karnevals. Ich packe meinen Koffer in Frankfurt am Main und nehme einen direkten Flug nach Rio de Janeiro. Hier fängt meine Reise an: eine Expedition auf der Suche nach dem Brasilien, das ich in Frankfurt kennengelernt habe.

Zu diesem Brasilien gehört Nivea. Sie kommt aus Rio de Janeiro, wohnt seit fünfzehn Jahren in Oberursel (bei Frankfurt) und betreibt im Zentrum von Frankfurt ein Café mit brasilianischen Spezialitäten. Jedes Jahr fährt sie nach Rio, um am Karneval teilzunehmen. Gleich wenn ich in Rio ankomme, muss ich mich bei ihrer Samba-Schule anmelden. Aber ich fahre nicht nur nach Brasilien, um die Spuren von Nivea zu verfolgen. In den letzten Monaten habe ich in Frankfurt viele Brasilianer kennengelernt, und von jedem von ihnen habe ich mehrere Aufgaben auf meiner Liste. Nach dieser Liste ist meine Expedition organisiert:
Nivea (Rio de Janeiro): Während des Karnevals bei der Samba Schule Mocedade Independente teilnehmen, Bikinifabrik in Ipanema aufsuchen, alte Bücher in Antiquariaten besorgen.
Antonio (Rio de Janeiro): Den Karneval verlassen, da Antonio diesen immer vermieden hat, und einen Ausflug auf die Insel Ilha Grande unternehmen: Sich auf der Insel mit Gerard von Pousada Manaca unterhalten und Ausflüge in den Wald machen; in Rio: Mit seinem Deutschlehrer Carlos spazieren gehen; Heilige sammeln (viele St. Martins!).
Raphaela (neben São Paulo): In der Stadt Embu das Artes nach Carrancas suchen (*Carrancas sind Skulpturen von Tierköpfen, die an Schiffe montiert sind), über Bekleidungen (Uniformen) von Putz- und Bedienpersonal recherchieren.
Elis (neben São Paulo): Lernen wie man Simpatias macht (*Simpatias sind einfache Zauberei-Rezepte); Souvenirs mit brasilianischen Fahnen suchen. Julie (São Paulo): Musikinstrumente aus Brasilien kaufen; Kindermärchenfiguren sammeln (Saci-Pererè, Curupira…); ein Gedicht, das alles umfasst und aufhebt, verfassen: wie ein Haikai.
Clara (São Paulo): Tropische Früchte sammeln; Getränkemotive finden, Etiketten für neue Fruchtsaft-Getränkeflaschen entwerfen.
Arthur (São Paulo): Einen Vertreter des Tropicalismus und einen Vertreter des Marxismus finden; Bücher von diesen Vertretern kaufen; an den Demonstrationen oder Bürgerbewegungen der Stadt teilnehmen.
Ivan (Escada): Nach Architektur in brasilianischen Liedern suchen (unsichtbare Städte ?); zusammen musizieren (Aber wie ? Eine Musik-Schule besuchen? Jemanden finden, der mir das Musizieren oder mindestens ein bisschen Trommeln beibringt ?).
Vladimir (Recife): Ein Frühstück mit tropischen Früchten organisieren; das Meer genießen – nur das pure Meer; den damaligen Leiter des Goethe-Instituts in Recife aufsuchen.
Márcia (Piripiri): Seitdem ihre Großeltern gestorben sind und deren Haus verkauft wurde, existiert für Márcia in dem heutigen Brasilien ihr Brasilien nicht mehr. Nach einigen Jahren lernt sie intensiv finnisch. Ich muss nach Finnland fahren, wo sie sich bald ansiedeln möchte, und wo sie denkt, dass sie finden kann, was sie verloren hat.

barboza-map

„Wahrhaftige Historia“

In meinem Reiseprojekt verfolgte ich die Frage, wie wäre es, eine Reise nach Brasilien zu unternehmen, ohne Frankfurt zu verlassen. In einer internationalen Stadt wie Frankfurt müssten wir eigentlich kein Flugticket buchen, um verschiedene Kulturen kennenzulernen. Meine Brasilien-Expedition begann also hier in Frankfurt am Main. 2013 verbrachte ich viele Tage vormittags im Weltkulturen Museum, in dem eine große Sammlung von Objekten aus Brasilien aufbewahrt ist, nachmittags mit Brasilianern, die aus verschiedenen Gründen in Frankfurt leben.

Im Weltkulturen Museum arbeitete ich in der Bibliothek und nahm mir vor, alle Ethnologen, die nach Brasilien gereist waren, um für das Museum neue Exponate zu besorgen, ausfindig zu machen. Ich beschäftigte mich nicht nur mit der Arbeit von den Ethnologen, sondern auch mit anderen Brasilien-Reisenden. So erfuhr ich, dass sich in Hessen der „Drang nach Brasilien“ schon vor der Institutionalisierung des Museums entfaltet hatte: Der berühmte Reisende Hans Staden kommt aus Homberg (Efze) in Hessen und verfasste nach seiner Reise im Jahr 1557 das erste Buch über Brasilien mit dem Titel Die wahrhaftige Historia und Beschreibung eines Landes der wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser.

Während ich den Vormittag mit dem Brasilien der Reisenden und Ethnologen verbrachte, machte ich mich immer nachmittags auf den Weg zu dem Brasilien, das sich in Frankfurt an verschiedenen Orten der Stadt angesiedelt hat. Ich traf mich mit Brasilianern, die durch Geschäfte öffentlich in der Stadt sichtbar sind, und suchte auch mittels Freunden oder Bekannten den privaten Kontakt zu anderen, die für einen normalen Stadtbesucher unsichtbar bleiben. Es war schon merkwürdig, das Forschungsfeld der Afrobrasilianer und der Indianer des Urwaldes, das sich im Museum befindet, zu verlassen, um mich zu den modernen Brasilianern in Frankfurt zu begeben. Eine Brasilianerin erzählte mir später, dass sie schon lange vor hat, das Weltkulturen Museum zu besuchen. Ein Freund von ihr aus Brasilien, der schon lange in Frankfurt lebt, hatte ihr von dem Museum erzählt. Er wusste, dass sie gerade viel über ihre afrobrasilianischen Vorfahren nachdenkt und täglich von diesen träumt. In den Träumen tauchen viele Elemente aus der afrobrasilianischen Kultur auf, die sie, wie sie berichtete, nicht richtig einordnen und interpretieren kann. Deswegen riet ihr Freund, sie müsse unbedingt ins Museum der Weltkulturen gehen, weil da viele Dinge und Informationen aufbewahrt sind, die ihr bestimmt helfen würden, ihre Träume zu entschlüsseln. Mir gefiel die Vorstellung, dass viele Brasilianer, die in Frankfurt leben, vielleicht ohne es zu merken, mit einem unsichtbaren Faden und durch Träume mit den Exponaten des Museums tief verbunden sind.

Während meiner Recherche konnte ich viele Brasilianer in Frankfurt kennenlernen. Ich führte unter anderem Interviews durch, die ich in Teilen transkribierte. Ich schrieb von jedem ein kurzes Porträt und hob aus ihren Erzählungen über Brasilien bestimmte Aspekte hervor, um diesen auf meiner Reise nach Brasilien weiter nachgehen zu können. Auf meiner Expeditionsliste waren nicht nur der Karneval und das Meer, sondern auch Freundschaften, Landschaften, Früchte, Bücher, Rezepte, Musik und viele andere Heimaterinnerungen und Heimatprojektionen. Im Februar 2014 flog ich dann endlich nach Rio und startete meine Expedition. Ich verbrachte jeden Tag in Brasilien, als würde ich einen Auftrag verfolgen, um so alle Perspektiven meiner Auftraggeber einnehmen zu können. Mein Ziel war es nicht, das gesamte Brasilien zu durchqueren. Ich war nur an den Stellen, wo die Brasilianer aus Frankfurt mich hingeführt hatten, an unterschiedlichen Orten von Rio de Janeiro, von São Paulo, von Recife … Als würde ich den Ratschlag von Walter Benjamin befolgen: „Man kennt eine Gegend erst, wenn man sie in möglichst vielen Dimensionen erfahren hat.“

Mein letzter Schritt wird sein, ein Buch über diese Expedition zu gestalten. Hier werden Sie das Brasilien, das ich in Frankfurt entdeckt habe und das ich in Brasilien weiter verfolgte, auch erleben können. Das wird mein Reisebericht sein, meine Wahrhaftige Historia.