The beating of the dragon-flies’ wings, the strokes of the water-spiders’ legs, a fish slid along beneath his eyes and he heard the rush of its body parting the water. Aus dem Owl Creek Bridge Projekt, Katja Pratschke und Gusztáv Hámos, 2012 © Katja Pratschke
Katja Pratschke: Aus dem Owl Creek Bridge Projekt, 2012 ©



stipendiatin
katja pratschke

Mit einem Stipendium der Hessischen Kulturstiftung hat die aus Frankfurt am Main stammende Medienkünstlerin, Autorin und Kuratorin Katja Pratschke (*1967) im vergangenen Jahr die ameri­kanischen Südstaaten bereist: per Auto und mit der Kamera auf den Spuren einer literarischen Erzählung, die Mitte des 19. Jahrhun­derts im Sezessionskrieg spielt. 

Katja Pratschkes vielseitige künstlerische Praxis umfasst sowohl Fotografie, Film und Video als auch Installation. Sie studierte Romanistik und Germanistik an der FU Berlin, dann Regie an der Filmhochschule PWSFTViT, Łódz, und Medienkunst an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Für ihre Diplomarbeit Fremd­kör­per / Transposed Bodies, eine medienübergreifende Produktion aus Film, Buch und Installation, erhielt sie 2002 u. a. den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold. Neben ihren experimentellen, kinematografischen Arbeiten ist Katja Pratschke, auch hierbei in enger Zusammenarbeit mit dem Medienkünstler Gusztáv Hámos, kuratorisch und publizistisch tätig. 2010 erschien im Schüren Verlag der Band Viva Fotofilm – bewegt / unbewegt zu Theorie und Praxis des Foto­films; in diesem Jahr werden die Publikationen zu zwei weiteren Projekten, nämlich Fiasko – Ein fotografischer Essay nach dem Roman von Imre Kertész und Cities (Verborgene Städte), auf den Markt kommen.

In der Reihe Photofilm! werden demnächst von Katja Pratschke, Gusztáv Hámos und Thomas Tode kuratierte Filmprogramme im Goethe-Institut und der National Gallery of Art in Washington (25. Feb­ruar bis 12. März 2012) sowie in der San Francisco Film So­ciety (18. bis 20. Mai 2012) zu sehen sein. Im Herbst folgt die Ausstellung Cities (Verborgene Städte) im Rahmen des Kulturprogramms Germany and India: Infinite Opportunitieszum 60-jährigen Bestehen der deutsch-indischen Beziehungen in Mumbai und New Delhi. 

Im folgenden Interview haben wir Katja Pratschke zu ihrer Arbeit im Allgemeinen und dem Stipendiumsprojekt im Besonderen befragt.

hks Katja Pratschke, Sie experimentieren seit Jahren mit den Medien Fotografie, Film und deren kinematografischen Hybridfor­men. Was ist Ihr Interesse an diesem visuellen Feld und wie arbei­ten Sie damit?

pratschke Seit 2000 experimentiere ich gemeinsam mit dem Medienkünstler Gusztáv Hámos mit dem Stillbild im kinematografi­schen Kontext – im Kino wie im Ausstellungsraum. Wir untersuchen das Verhältnis von Stillstand und Bewegung, den Unterschied zwischen dem unbewegten Bild der Fotografie und dem Bewegtbild des Kinos. Wir fragen uns, was passiert mit der Fotografie in einem kinematografischen Kontext? Wie viel Bewegung braucht ein kine­matografisches Bild? Sobald das Bild im Film steht, lädt es uns zur Kontemplation ein und wir finden Gefallen an dem »mehr Sehen«: daran, am Bilderstudium des Autors beteiligt zu sein, das Bild als Begriff zu interpretieren, an den imaginären Erweiterungen, zu denen wir inspiriert werden.

In unserem Fotofilm Fremdkörper erzählen wir eine Liebesgeschichte, in der zwei Männer ihre Köpfe verlieren. Im Verlauf der Geschichte werden die Köpfe der beiden, die bedauerlicher Weise vertauscht wurden, wieder auf die Körper gesetzt. Wir entschieden uns, inspiriert von der Verwandtschaft und der Fremdheit von Foto- und Film-Bildern, eine klare Trennlinie zwischen bewegten und nicht-bewegten Bildern zu ziehen. Diese Trennlinie geht entlang der Haut, die die Körper der Hauptdarsteller umhüllt. Die Geschichte unserer Protagonisten erzählen wir mit unbewegten Bildern, mit Fotografien. Die biochemischen Äquivalente, die emotionalen Ereignisse in ihrem Körperinneren zeigen wir mit abstrakten, bewegten Bildern, von Wissenschaftlern aufgezeichneten Filmaufnahmen. Fremdkörper basiert auf der Erzählung Die vertauschten Köpfe von Thomas Mann, das Ausgangsmaterial unserer aktuellen Arbeit Cities – Verborgene Städte bilden hingegen Fotosequenzen von Gusztáv Hámos, die essentielle Situationen urbaner Erfahrungen beschreiben, sie zeigen Verdichtungen menschlichen und unmenschlichen Handelns. Die Städte, in denen die Fotografien seit 1975 entstehen, sind Berlin, Budapest und New York, Orte mit traumatisierter Vergangenheit: Krieg, Diktatur, Terrorkatastrophen. Jede einzelne Bildfolge beinhaltet bereits in sich ein Konzept, eine Anordnung, ein Programm. Sie sind Partituren, Notationen, im kine­matografischen Kontext werden sie zu Wahrnehmungsexperimenten, zu zeitlichen, räumlichen oder Zeit-räumlichen, Raum-zeit­lichen Sequenzen, die das Filmische reflektieren.

hks Die Darstellung und Wahrnehmung von Zeit in unterschiedlichsten Formen und Schichtungen sind ja genuines Thema nicht nur in den fotografischen und filmischen Medien: So verwenden Sie in Ihren Arbeiten unter anderem auch literarisches Material: Das Projekt für Ihr Reisestipendium war die Rekonstruktion einer bekannten Kurzgeschichte des amerikanischen Schriftstellers Ambrose G. Bierce (1842 – 1914), der für seine Bürgerkriegs- und fantastischen Horrorgeschichten berühmt-berüchtigt ist. Wie kamen Sie auf diesen Stoff und wie haben Sie ihn bearbeitet?

pratschke Mich interessiert das Konzeptuelle an der Narration, die Möglichkeit Zeit zu schichten, zu falten, durch sie zu reisen. Unser Fotofilm Rien ne va plus beispielsweise ist konstruiert wie ein Zeitkristall: gleichzeitig ereignen sich verschiedene Variationen derselben Geschichte. Das narrative Gerüst für diese Arbeit bildet Jean-Paul Sartres Drehbuch Les jeux sont faits, aber die vielleicht wichtigere Inspiration waren zwei Filme: L’Année dernière à Marienbad von Alain Resnais und Rashomon von Akira Kurosawa.

Die Erzählung An Occurance at Owl Creek Bridge von Bierce, die wir in den Südstaaten diesen Sommer rekonstruiert haben, thematisiert »Dauer« als zeitliche Ausdehnung eines Ereignisses. Anhand eines »Vorfalls«, der Hängung des Südstaatlers Peyton Farquhar auf einer Eisenbahnbrücke im April 1862, beschreibt Bierce unterschiedliche Zeitintervalle, die sich mit diesem einen Moment verbinden.

Aus der Erzählung heraus haben wir für unsere fotografische Arbeit vor Ort ein Notationsverfahren entwickelt. Wir entschieden uns, diesen einen erzählten Moment in seine Bestandteile zu zerle­gen. Das heißt, wir sind jedem Detail in der Geschichte nachgegan­gen, haben die Teilstücke verortet und von der jeweiligen Position aus acht Einstellungen rundum fotografiert, die zusammengesetzt ein 360°-Panorama ergeben. Bierce selbst erzählt in Kreisen, beschreibt Kreisläufe: an Farquhar entlang, in ihn hinein, das Geschehen um ihn herum. Obwohl Farquhar für den Leser ganz klar die Flucht gelingt, weil das Seil im Moment des Hängens reißt, kehrt er zurück, gewaltsam wird er zurückgezogen, wird daran erinnert, dass er die Eisenbahnbrücke nie verlassen hat und niemals lebendig verlassen wird.

Entstanden sind während unserer Reise 36 Panoramen, die miteinander verschränkt sind, sie verbinden die Owl Creek Bridge in Tennessee mit dem Schlachtfeld von Shiloh, den Schienenverlauf der Decatur and Nashville Railroad bei Elkmont Alabama mit dem Hazen Monument am Stones River oder dem Cyclorama in Atlanta. Unsere fotografischen Positionen bestimmten wir anhand von Bierce’ Erzählungen, Zeichnungen und biografischen Daten, Fotografien von Schlachtfeldern und Stereofotografien von zerstörten oder verschollenen Cycloramen.

hks Wie bauen Sie aus diesem Materialfundus einen Film auf, erarbeiten Sie ein Drehbuch, eine Partitur? Und gibt es so etwas wie eine Regie für die Lücken, für die Imaginationsräume auf der Seite des Betrachters, von denen Sie sprechen?

pratschke Die Panoramen und unseren Notizen bilden das Ausgangsmaterial einer neuen Arbeit, die verschiedene mediale Existenzen annehmen wird: Text, Buch, Installation und Film. Ich kann mir vorstellen, den »Vorfall«, der sich auf der Owl Creek Bridge ereignet, weiter zu dehnen, in weitere Zeitintervalle zu zerlegen, mit weiteren Zeitschichten zu verbinden.

Für einen Film, der auch Bestandteil eines begehbaren Kinoraumes in Form einer Installation ist, plane ich weitere Zeitfalten, Variationen zu erarbeiten: Einmal soll die Erzählung gesungen werden, die Owl Creek Bridge bauen wir in einem Studio nach, wir inszenieren die Handlung und fotografieren sie dort, wo 1962 Robert Enrico seine Adaption drehte, wir rekonstruieren die Verfilmung der Erzählung, wir setzen die Panoramen zu Sequenzen zusammen und animieren sie. Ich experimentiere mit den Zwi­schenräumen des Kinos; Sprache, Bild, Musik, Film bleiben in meinen Arbeiten eigenständige Komponenten, sie schließen sich nicht immer zusammen. Durch die Asynchronität entstehen mögli­che Räume, können sich offene Assoziationen bilden.

hks Wir sind gespannt auf diese nächste Produktion!
Vielen Dank für das Interview.
Die E-Mail-Korrespondenz führte Karin Görner.