Liebieghaus Frankfurt, White Wedding: die Elfenbeinsammlung Reiner Winkler Jetzt im Liebieghaus. Für immer.: Minerva führt die Bildhauerei und Malerei den sieben freien Künsten zu, Süddeutschland, wahrscheinlich Augsburg, 2. Hälfte 17. Jahrhundert, Elfenbein, Ebenholzplatte, Pappelholzplatte, Silber- und Kupferblech, teilvergoldet, Stein, Glasfluss, Perlen, H. 31,8 cm, B. 39,6 cm, T. 2,2 cm, © Liebieghaus Skulpturensammlung – Sammlung Reiner Winkler
Minerva führt die Bildhauerei und Malerei den sieben freien Künsten zu, Süddeutschland, wahrscheinlich Augsburg, 2. Hälfte 17. Jahrhundert, Elfenbein, Ebenholzplatte, Pappelholzplatte, Silber- und Kupferblech, teilvergoldet, Stein, Glasfluss, Perlen ©
Liebieghaus Frankfurt, White Wedding: die Elfenbeinsammlung Reiner Winkler Jetzt im Liebieghaus. Für immer.: Die drei Parzen, Kopenhagen, um 1670, Joachim Henne, Elfenbein, H. 18,7 cm, © Liebieghaus Skulpturensammlung – Sammlung Reiner Winkler
Die drei Parzen, Kopenhagen, um 1670, Joachim Henne, Elfenbein ©



mit vergnügen

Fürstliche Kunstkammern und Kabinette, die sich aus den Kuriositätenkabinetten des Entdeckungszeitalters entwickelten, dienten als Ort des Studiums, der Unterhaltung, der Kunst und der Wissenschaft mit ihrem universalen Anspruch der Repräsentation des fürstlichen Selbstverständnisses. Einen zentralen Anteil an diesen Netzwerken des Wissens, der Schönheit und Kunstfertigkeit – die in Form und Umfang heute größtenteils verloren sind – hatte die Elfenbeinschnitzerei. Im Paragone mit der Goldschmiedekunst entwickelten sich die elfenbeinernen Schnitzstücke zu filigranen Meisterwerken.

Dank einer Mischform von Schenkung und Ankauf der Elfenbeinsammlung Reiner Winklers sind die Wunderwerke der Kunstkammern und Fürstenhöfe nun im Liebieghaus zu bewundern. Als White Wedding feiert das Frankfurter Museum diese Liebesheirat, die dem Haus auf einen Schlag eine der bedeutendsten Elfenbeinsammlungen in Europa beschert.

Der Gedanke an eine Wunderkammer lag auch der Elfenbeinsammlung Reiner Winklers zugrunde. Die Rekonstruktion eines solchen Kunstkabinetts sei jedoch ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, erinnert sich der Sammler. Mit der Elfenbeinschnitzerei widmete er sich schließlich einem zentralen Objekt fürstlicher Kunstkammern, mit einem Schwerpunkt auf der Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts. Barock und Rokoko gelten als die Glanzzeit der Elfenbeinschnitzerei und sind mit Werken aller bekannten Künstler dieser Zeit oder deren Werkstadt in der Sammlung vertreten.

Auch wenn die ausgestellten Schnitzwerke heute nicht mehr Teil einer Kunstkammer sind, sondern einer wissenschaftlichen Sammlung angehören, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die plastische Bildfindung von der Antike über Mittelalter, Renaissance und Barock bis ins 19. Jahrhundert zu demonstrieren, so tragen die Kunstwerke durch ihre Eigenarten doch die Stimmung und den Anspruch einer solchen Wunderkammer zurück in die Ausstellung. Die Inszenierung der Sammlung im Keller des Liebieghauses erzeugt mit den hell erleuchteten Figuren im samtigen Dunkel des Raums den Eindruck eines begehbaren Schatzkästleins.

Die Kunstfertigkeit, mit der das Elfenbein bearbeitet wurde, die es aufgrund seiner besonderen Materialeigenschaften herausfordert und inspiriert, lässt den Betrachter staunend zurück. Die pulsierende Lebendigkeit der Darstellung, die den Kleinplastiken innewohnt, verdankt sich neben dem elfenbeinernen Inkarnat der virtuosen, filigranen Darstellung veristischer Details: der Schrei der Allegorie der Verdammnis in der Hölle (1736) dringt aus tiefster, anatomisch sichtbarer Kehle zu uns. Gespannte Bewegungsmomente der Figurinen und Reliefs ergeben sich aus den häufig narrativ angelegten Körpern. Gesteigert wird dieser Eindruck noch, wenn die Bewegung durch eine Auslösung aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang ihren Kontext verliert – ein wissenschaftlich herausforderndes und ästhetisch reizvolles Rätsel: so etwa bei der Furie auf einem springenden Pferd (1610), oder dem Chronos auf der Weltkugel (1720/25). Die elastische Härte des Materials ermöglicht es den Künstlern in Reliefs – wie dem Urteil des Paris (frühes 18. Jahrhundert) –, seine lichtdurchlässigen Eigenschaften herauszuarbeiten. So erscheint bei einer Beleuchtung von hinten eine atmosphärische Lebendigkeit der Glieder und Räume.

Reiner Winkler hat eine moderne, museale Kunst des Sammelns kultiviert, die sich neben der wissenschaftlichen Aufarbeitung und der öffentlichen Zugänglichkeit in zahlreichen Ausstellungen die Faszination einer Kunstkammer bewahrt hat und die nun Für immer – wie es im Untertitel des Ausstellungskataloges heißt – im Liebieghaus erhalten bleibt. Mit dem Frankfurter Museum und dem Elfenbeinmuseum auf Schloss Erbach sind nun zwei bedeutende Sammlungen historischer Elfenbeinschnitzereien in Hessen beheimatet und für die Öffentlichkeit zugänglich.

  • White Wedding – Die Elfenbein-Sammlung Reiner Winkler jetzt im Liebieghaus.
  • Für immer.
  • Liebieghaus Skulpturensammlung
  • Schaumainkai 71, 60596 Frankfurt
  • Telefon +49 69 605098200
  • Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
  • www.liebieghaus.de