von freundeshand

Meistens liegt es in der untersten Schublade. Sein im Zeitgeschmack geprägter Einband gefällt selten, weil im Heute irgendwie gestrig. Im Innern aber ist es ein Archiv der Lebensereignisse, ein Stück Familiengeschichte – das Stammbuch. Dass das Stammbuch schon immer familiäre Daten festhält, erklärt sich aus dem Wort. Ursprünglich war das ,stam(men)buch‘ – das frühneuhochdeutsche stamen für Geschlecht / Abstammung klingt durch – ein Familienverzeichnis, in dem die Geschlechter eingetragen wurden. Umso bemerkenswerter ist es, dass das Stammbuch von der Mitte des 16. Jahrhunderts an auch nicht genealogische Beziehungen dokumentierte und als handlicher Begleiter einen prestige- und kunstvollen Buchtypus bildete. Studenten führten es mit sich und ließen darin Kommilitonen, Professoren, Gönner sowie befreundete Personen eintragen. Die im Gelehrtenmilieu etablierte Bezeichnung lässt den Ursprung wiederum im lateinischen stamen vermuten, das einen wortspielerischen Bezug auf den die Menschen zusammenführenden ,Schicksalsfaden‘ bot. Beide Herleitungen ergänzen sich: Das Stamen-Buch war für seinen Halter Ausweis intellektueller Abstammung und Zugehörigkeit im Bund der amicitia, aber auch Mittel zur Verankerung in der gesellschaftlichen Elite.

Ein solcher Dokumentationsort freundschaftlicher Beziehungen, der treffender als Album amicorum bezeichnet wurde, ist durch den Ankauf des Studentenstammbuchs von Georg Schütz (1587–1637) in den Bestand der UB/LMB Kassel übergegangen. Noch wenig beforscht, stellt das Album des jüngeren Bruders des bedeutendsten frühbarocken Komponisten, Heinrich Schütz (1585–1672), eine wichtige Quelle nicht nur für die Schütz-Forschung dar. Mit seinen zahlreichen handschriftlichen Eintragungen, farbig gefassten Wappendarstellungen und Illustrationen wird das zwischen 1608 und 1613 entstandene Stammbuch auf der Online-Plattform Open Repository Kassel (ORKA) präsentiert.