editorial

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

„das Blaue vom Himmel …“ – Sie kennen die Redensart, die schönwettermäßig beginnt, um dann mit dem einen oder anderen Tätigkeitswort unfreundlich zu enden. Dem Himmel das schöne Blau nehmen, indem man so geschickt wie überzeugend unwahre Geschichten auftischt oder vollmundig unhaltbare Versprechen macht. Dies ist verwerflich, in jedem Fall, andererseits geradezu verwegen, den Himmel, der ja unzweifelhaft blau und weit ist, so erscheinen lassen zu können, als wäre er es nicht. Freches Kunststück – das Unmögliche möglich und das Unwahre wahr erscheinen zu lassen. Wer mit listigem Einfallsgeist anderen etwas weismachen will, ist nicht davor gefeit, sich selbst das Blaue vom Himmel herunterzuholen, ohne es zu wollen natürlich. Die Sache mit der Selbstlüge. Apropos weiss machen – wissen Sie, wo man die Wurzel der Redensart vermutet? Bei den Sophisten. Von diesen sagte man, sie könnten so gut reden, dass sie das Weiße schwarz und das Schwarze weiß reden. Die Schwarz-Weiß-Minimalisten unter den Tatsachenverdrehern und Über­zeugungskünstlern. 

Wo das Blau im besten und wahrsten Sinne hinfällt, dort leben die Glücklichen. Die „blaue Zone“ ist so etwas wie ein echtes Stück Himmel auf Erden. Blue Zones kennzeichnen die Regionen der Welt, wo man dem Geheimnis der Langlebigkeit und einem zufriedenen Leben auf die Spur zu kommen sucht. Was ist dran, am Blau? Dass man mit Blau im Leben besser fährt, sagt der Lyriker Kurt Marti in einem Gedicht: „glücklich / die ihr betrunken sein könnt / vom blau des himmels!“ Es liegt sichtlich in der Natur der Sache, dass das Blaue nicht leicht zu fassen ist, denn es steht für Täuschung, alles Weite wie auch für das Wunderbare. 

Um blaue Kunststücke geht es in dieser Frühlingsaus­gabe: Von Erich Heckel stammt ein Aquarell mit einer Ansicht der Altstadt von Wetzlar, deren Dächer unter einem Schönwetterhimmel in vielfach gestuftem Blau erscheinen – eine Idylle aus der Nachkriegszeit, die sich gleichsam als einladende blaue Zone darstellt. Eine Ausstellung präsentiert die Weite und Dichte des Werks von Katharina Immekus als Gran Palazzo, sprich als einen die Zeiten, Räume und Medien überspannenden Zusammenhang – simile al cielo. Achten Sie übrigens einmal darauf, wie die Künstlerin den Himmel in ihren Bildern erscheinen lässt – oben, postkartenblau und weit nicht unbedingt. Und: Wohl kein zweites literarisches Projekt ist so von Faktensuche, himmlischer Wahrheit und wunderbarem Dunst umgeben gewesen wie das des Romantikers Clemens Brentano. Aber lesen Sie hier selbst.

Zur Einstimmung auf den ersten Gruß des Frühlings,
das berühmte blaue Band, bleibt mir noch zu sagen:
Stehlen Sie sich das Blaue vom Himmel, für den eigenen Optimismus!

Ihre

Eva Claudia Scholtz
Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung