verschiedene Stifte auf Papier, 14,8 × 21 cm, 2012 © Carsten Tabel
Carsten Tabel ©
verschiedene Stifte auf Papier, 14,8 × 21 cm, 2012 © Carsten Tabel
Carsten Tabel ©
Kohle, Belegkirschen, Kleintierstreu, Bett, Stühle, Stahl, Tee © Carsten Tabel
Carsten Tabel: Two chairs laughing behind the back of a wounded kid, 2011 ©
Beton, Tisch, Fliesen, Stahl, Tapetenleim, Gips, Zement, 150 × 150 × 250 cm © Carsten Tabel
Carsten Tabel: Im Süden, 2009 ©
C-Print auf MDF, 46,5 × 65 cm © Carsten Tabel
Carsten Tabel: Wolke, 2009 ©
C-Print, 65 × 90 cm © Carsten Tabel
Carsten Tabel: Baronesse, 2008 ©



stipendiat
carsten tabel

Carsten Tabel, 1978 im hessischen Friedberg geboren, lebt in Leipzig, hat dort an der Hochschule für Grafik und Buchkunst bei Prof. Timm Rautert Fotografie studiert und 2008 als Meisterschüler mit Diplom abgeschlossen. Seine künstlerischen Arbeiten expandieren über die Fotografie hinaus längst auch in die Zeichnung, die Skulptur, den Text und installative Kombinationen. Verdichtende Beobachtungen von Realität(en) kennzeichnen sowohl seine bildnerischen wie auch die literarischen Äußerungen. Neben zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen, etwa bei Vertrautes Terrain – Contemporary Art in/about Germany im ZKM, Karlsruhe, 2008 hat Tabel verschiedene Textsammlungen publiziert, zuletzt I’m not on fire, erschienen im Leipziger Lubok Verlag 2010.

In diesem Jahr ist Carsten Tabel im Londoner Atelier der Hessischen Kulturstiftung zu Gast: Wir haben mit ihm im Interview über den aktuellen Stand der Dinge korrespondiert.

Für die kommenden Monate sind eine weitere Textpublikation unter dem Titel The ones out sowie ein Katalog mit neuen Zeichnungen, der im Lubok Verlag erscheinen wird, in Planung. Anfang 2013 wird eine Einzelausstellung in der Leipziger Galerie Kleindienst folgen.

 

hks Carsten, in London ist Olympia dieser Tage, tangiert Sie das in irgendeiner Form?

tabel Noch nicht, denn ich war die letzten zwei Wochen in Deutschland und habe mit meinem Freund Arlo Ibisch ein Musical aufgeführt. In zwei Tagen geht es zurück und ich bin mir sicher, dass ich eine Menge mitbekommen werde, da das Haus der Hessischen Kulturstiftung in ca. 15 Minuten Fußweite vom Olympiastadium liegt, der nahegelegene Victoria Park Wettkampfort und Public Viewing Zone ist und zudem das US-amerikanische Team in der nahegelegenen Queen Mary University untergebracht ist. Ich befinde mich somit in sehr stark gesichertem Gebiet. Viele Straßen sind gesperrt, viel Militär ist vor Ort. Die Stimmung in Bow war vor meiner Abreise etwas aufgeheizt, da die Armee auf einigen Wohnhäusern Missile-Raketen stationiert hat, um mögliche Angriffe aus der Luft zu vereiteln. Ich bin gespannt, was mich jetzt erwartet und wie London die enorme Besucherzahl verkraftet.

hks Gut, ich verlängere die Frage auf nächste Woche. Mal sehn, ob dann Prädikate wie „Sommermärchen“ zum Beispiel vergeben werden können. Mit Ihrem Stipendium hingegen sind Sie jetzt schon in der Halbzeit. Wie hat sich Ihre künstlerische Arbeit entwickelt bisher, Sie hatten sich ja nicht ein konkretes Projekt vorgenommen, sondern neue Eindrücke und Impulse gewünscht?

tabel Zur Zeit schreibe ich an dem Text für eine Performance, einer szenischen Lesung, die in einem von mir gesetzten skulpturalen Environment aufgeführt werden soll, etwas, was ich so noch nicht gemacht habe. Das Schreiben ist seit Langem wichtiger Teil meiner Arbeit, bisher habe ich jedoch die literarische von meinen bildnerischen Arbeiten getrennt. Mir liegt viel daran diese Trennung aufzuheben. Mich ödet das Schweigen der Kunst an, und ich habe das dringende Bedürfnis, diesem Schweigen etwas entgegenzusetzen, mich stärker zu äußern als bisher. Das bedeutet für mich einen großen Schritt, wobei ich aufhören sollte, es so zu begreifen. Vielleicht ist es eher eine logische Konsequenz. Hier in London zu sein ermöglicht es mir, an diesem Projekt zu arbeiten. Sich weit weg zu fühlen, eine andere Sprache, eine lebendige Stadt, das sind gute Impulse fürs Schreiben und künstlerische Weiterentwicklung. Ich fühle mich wieder gezwungen, mich mit Dingen auseinanderzusetzen, mich zu positionieren, etwas, was mir zu Hause in letzter Zeit abhanden gekommen ist.

hks Ich habe in einem Ihrer Texte den Satz gefunden: „Die Hölle ist, wenn man von innen brennt und kein einziges Flämmchen es nach draußen schafft.“ Sie arbeiten derzeit ja mit vielen verschiedenen „Flämmchen“, mit Performance, Lesung, Text, Zeichnung, Musik. Verstehe ich Sie richtig, dass sich das Leiden am Schweigen der Kunst, von dem Sie sprechen, auf einen persönlichen inneren Zustand bezieht? Und gibt es in diesem Prozess der Umorientierung schon eine Vorstellung, eine Ahnung davon, wie eine neue, adäquatere Ausdrucksform beschaffen sein könnte?

tabel Nein, ich leide nicht, da haben Sie mich falsch verstanden. Es ist nur so, dass ich meinen Bildern und den skulpturalen Arbeiten mitunter misstraue. Sie tragen eine opulente Niedlichkeit, etwas phantasievoll Verspieltes in sich, was gewollt ist, was ich aber nicht unkommentiert lassen kann. Es bedarf meiner Meinung nach der Konfrontation mit sprachlicher Härte und Kargheit, Momenten der Ernüchterung für den Betrachter. Andere mögen in der Lage sein, das in einem einzigen Bild zu transportieren und zu verhandeln. Ich bin es nicht, und habe auch kein großes Interesse zu einer solchen „Meisterschaft“ zu gelangen. In Leipzig, wo man doch noch sehr an diesem Gedanken von Meisterschaft hängt und an die Möglichkeiten des einzelnen Bildes glaubt, ist das manchmal eine schwierige Position.

Ein Journalist hat mal über mich geschrieben, dass die Lektüre meines Buches sowie auch meine Videoarbeiten einen großen Schatten auf meine Bilder und Installationen werfen würden. Ich glaube, es war nicht so gemeint, aber ich habe es als eine sehr positive Kritik empfunden. Was mich lediglich stört, ist die zeitliche Verschiebung: Der Schatten wird zu spät geworfen, nämlich erst zu Hause beim Lesen. Was sich nun ändert, würde ich nicht als einen Prozess der Umorientierung beschreiben, als viel mehr eine Weiterentwicklung vom geschriebenen zum gesprochenen Wort, vom Buch, das im Galerieraum auf einem Sockel liegt, zur szenischen Lesung/Performance mit Musik und Videoeinspielungen in der Ausstellung, von der indirekten Konfrontation zur direkten. Doch vielleicht genug davon, denn ich arbeite hier ja nicht ausschließlich am großen Schattenwurf, sondern auch an den Dingen, auf die er fallen soll. Wobei diese Unterscheidung so auch nicht richtig ist. Es ist nicht so, als gebe es in den Bildern und Skulpturen keine dunklen Momente und im Text keine Poesie, Schönheit oder Witz. Es geht mir vielmehr darum, das, was ich tue, zu bündeln, zu zeigen, dass es zusammengehört, dass es keine klare Linie gibt zwischen Licht und Schatten, zwischen niedlich und abgrundtief, Phantasie und Realität. So bleibt mir die Möglichkeit, Dinge umzusortieren oder fallen zu lassen.

hks Dann wünsche ich Ihnen noch eine gute, anregende Zeit in London! Und, wie angekündigt, zum Schluss nochmal die Frage nach dem olympischen Feuer: Was ist los in der Stadt?

tabel Es ist, anders als erwartet, sehr ruhig. Die Stadt ist sogar ein wenig leerer als sonst, fast ein bisschen, als wäre jeden Tag Sonntag. Nachdem im Vorfeld chaotische Zustände angekündigt und somit Panik erzeugt wurde, sind viele aus der Stadt geflüchtet, sind in den Urlaub gefahren und die Besucherzahlen halten sich in Grenzen. Man wünscht sich fast ein bisschen mehr Feuer und weniger olympischen Frieden. Es ist keine Belastungsprobe, sondern eine Zwangspause für London …, alles sehr, sehr entspannt.

Die E-Mail-Korrespondenz führte Karin Görner.